Mit dem Crime Mystery in Alexia Walther und Maxime Matrays zweiter Spielfilm-Arbeit, die in der Nebensektion Concorso Cineasti del Presente in Locarno premiert, ist es ein wenig wie mit dem sommerlichen Wetter in der verhangenen Provinz-Kulisse. Dort täuscht sich ein Spätsommer immer mal wieder an, aber richtig sonnig wird es doch nicht. Dieses unterkühlte Klima entspricht dem Gemüt der pragmatischen Protagonistin, die das spurlose Verschwinden einer Jugendlichen auf die Fährte allerlei bizarrer Gerüchte und Verdächtigungen bringt – nur drehen sich die meisten um ganz andere Delikte.
Von letzten gibt es reichlich an dem akkuraten Schauplatz, in dessen Verwaltung Géraldine (eine unbeirrbare Agathe Bonitzer) eigentlich nur für entlaufene Tiere zuständig ist. Doch als die junge Kenza (Clémentine Kaul-Surdez) an ihrem Geburtstag plötzlich nicht mehr aufzufinden ist, erwacht der detektivische Sinn der gewissenhaften Beamtin. Dass Kenzas Geburtstag auf Géraldines Geburtstag fällt, ist eine der im Titel evozierten kuriosen Doppellungen. Sei es ein Seidenschal, den ihre egozentrische Mutter (Nathalie Richard) ihr als Geschenk mitbringt, oder ein Zitat aus T.S. Eliot’s “The Hollow Men”.
Letztes steht unvermittelt an einer Mauer gegenüber der Wohnung von Géraldines Freund, der sich von der Ortsgemeinde verfolgt fühlt. Nicht nur er ahnt Übles hinter den beschaulichen Fassaden der für sommerliche Üppigkeit bekannten Riviera. Dass die nüchterne Inszenierung dazu ein in blasse Herbstfarben gehülltes Gegenbild entwirft, markiert den dramaturgischen Fokus auf die übersehenen Facetten. Hinter der dezenten Ironie lauern leise Verstörungen: Selbstsucht, fixe Ideen und eine eisige Gleichgültigkeit, die beunruhigender ist als offene Aggression.
Géraldines eigenständige Ermittlungen sind ein Gegenbild dieses zwischenmenschlichen Desinteresses. Statt kriminalistischer Methodik leitet sie ethische Hartnäckigkeit und ein unbeirrter Blick für das Wesentliche. Diese Qualitäten vermitteln Vignetten diskreten Humors, den der Soundtrack pointiert kommentiert. Visuelle Zurückhaltung ergänzt das bewusst langsame Erzähl-Tempo, das am Rand anekdotischer Belanglosigkeit balanciert. Bilder leerer Dorfstraßen, klammer Küstenlandschaften und gedämpfter Innenräume schaffen eine Atmosphäre, in der Wahrheit flüchtig ist und Gewissheit selten. Zu viele Pausen und Nebenstränge unterlaufen Suspense mit Langeweile, doch auch die gehört zum narrativen Konzept.
Eine anfängliche Explosion, die aus der Ferne erklingt, und niemanden richtig aufzuregen scheint, ist emblematisch für Alexia Walther und Maxime Matrays dramaturgische Annäherung. Das Regie-Duo, das nach seinem Venedig-Debüt im vergangenen Jahr in Locarno sein Zweitwerk präsentiert, interessiert sich weniger für den Vorfall, als dessen Nachbeben. Gerüchte, die wie stille Post ins Absurde ausarten, verschüttete Kränkungen und kollektive Verdrängung sind Teile eines soziologischen Puzzles. Das enthüllt im mokanten Bruch mit den Konventionen der Krimi-Komödie wie Gemeinschaften aus einzelnen Ereignissen kollektive Dramen formen.
- OT: Affection affection
- Director: Alexia Walther, Maxime Matray
- Year: 2025