Wie viele Gags über fliegende Penisse passen in einen Film? Das Ergebnis ist natürlich abhängig. Von der Laufzeit. Die beträgt volle 170 Minuten bei Radu Judes schriller Sex-Satire. Jede Menge Zeit für Penisse, Penis-Gags sowie dazu jede Menge weiblicher Geschlechtsorgane und nackte Brüste, aber vor allem Penisse. Was nicht heißt, dass sein jüngstes Werk ein Porno wäre. Dieses Feld, zumindest auf der privaten Amateur-Ebene, hatte der rumänische Regisseur bereits in Bad Luck Banging or Loony Porn abgegrast und dafür einen Berlinale-Bären gewonnen.
Mehr Penisse, mehr Preise, dachte sich Jude offenbar und packte bei seinem Beitrag zum Wettbewerb des Locarno Film Festivals Geschlechtsorgane in nahezu in jede Szene. Viele davon ersetzen die Darstellenden durch AI-generierte Figuren, andere zeigen nur eine Person, umschwirrt von Penissen. Die meist überdimensionalen Dinger sind ebenfalls AI-generiert, wie der Großteil der kruden Collage und womöglich auch das Skript. Wobei ein Programm wie das, welches ein von Judes Stammdarsteller Adonis Tanța verkörperter Charakter für einen Films-im-Film nutzt, wohl etwas Unterhaltsameres geschaffen hätte.
Die um Provokation bemühten Fragmente besteht aus bühnenartigen Studio-Sketchen, animierten Abbildungen der Titelfigur von Gemälden über kitschige Reproduktionen bis zum TikTok-Clip, Judes üblichen Fake-Reklame-Einblenden sowie eine Reihe unfertiger Episoden. Eine dreht sich um den Cast eines frivolen Transsylvanischen Cabarets, eine andere folgte dem in die Gegenwart versetzten Vlad Tepes und in einer erklärt Adonis dem Kino-Publikum sein Dracula-Filmprojekt. Das soll „super kommerziell“ werden, mit Sex, Jokes, Auto-Verfolgungsjagden, Kämpfen, Gefühlen und allen anderen Elementen Judes Films. Der ist natürlich genau jenes Dracula-Projekt.
Um als Kommerz-Kritik durchzugehen oder auch nur zu amüsieren, ist diese Pointe schlicht zu plump und abgenutzt. Letztes unter anderem von Jude selbst, der lediglich altbekannte Komponenten seiner letzten Werke recycelt. Groteske Fake-Werbespots, diesmal mit Ausschnitten aus Murnaus Nosferatu, krude Sex-Szenen, misogyne Ausfälle, karikierte Kultur-Ikonen, willkürliche Vulgär-Floskeln. Die gleiche Leier über einen durch angeblich durch Social Media, mangelnden Nationalrespekt, Fremde und Freizügigkeit herbeigeführten kulturellen Niedergang. Dieser konservative Kulturpessimismus schlachtet eben jene Dinge aus, die er zu kritisieren vorgibt. Das ist wahrhaftig „super kommerziell – und verlogen.
Wer Radu Judes reißerischen Mix aus ungelenken AI-Animationen, Handy-Videos, Film-Ausschnitten, Leinwand-Theater, Vampir-Soap-Opera und Pseudo-Reklame bis zu Ende aushält, sieht ein kondensiertes Mini-Familiendrama. Dessen satirischer Sozialrealismus wirkt wie ein Requiem auf die frühen Werke des Regisseurs. Der zelebriert augenscheinlich nur noch Selbstzitate und sexistisches Spektakel, begleite von obszönen Gags zwischen pubertärer Pseudo-Provokation und Altherren-Humor. Eine Handvoll Stammdarstellender chargiert sich durch das notgeile Konglomerat voller Rape-Jokes, fliegender Penisse, das über nationale Mythen, kulturelle Identität und historischen Horror ebenso wenig zu sagen hat wie über deren filmische Verwertung.
- OT: Dracula
- Director: Radu Jude
- Year: 2025