Das Unsichtbare war von jeher ein integraler Bestandteil Alexandre Koberidzes filmischen Schaffens. Doch nur selten war das, was nicht ohne Weiteres mit den Augen wahrgenommen werden kann, manifester an als in seinem jüngsten Werk. Dessen elliptische Handlung ist auf gleich zwei Ebenen eine Suche nach dem Verschwundenen, gefiltert durch den Blick einer imaginären Präsenz. Jene unsichtbare Schlüsselfigur, deren Stimme das Geschehen mit ruhiger Beobachtung kommentiert, ist Levani, der beste Freund der jungen Fotografin Lisa (Irina Chelidze).
Auf einer Fototour zu vergessenen Fußballplätzen im georgischen Hinterland ist sie spurlos verschwunden. Deshalb bricht ihr Vater Irakli (David Koberidze) auf, sie zu suchen – begleitet von Levani, den außer ihm niemand wahrnimmt. Das Spukhafte und Surreale des Szenarios verliert sich in mildem Humor und märchenhafter Selbstverständlichkeit des Übersinnlichen. Auf den Weg von Dorf zu Dorf folgen sie flüchtigen Hinweisen und rätselhaften Andeutungen, begegnen Menschen und Tieren und besuchen halb verlassene Orte, die ebenfalls dem Wandel weichen müssen.
Ihre gemächliche Suche unterbrechen zufällige Begegnungen mit Fremden, vom versunkenen Zuschauen und manchmal vom bloßen Verstreichen der Zeit. Der georgische Regisseur und Drehbuchautor bevorzugt Umwege gegenüber Zielen und Kontemplation gegenüber dramatischer Aktion. Ein Ball, der über ein staubiges Feld trudelt, der Schwung des Windes im Gras, das Schweigen zwischen den Schritten: die traumähnliche Szenerie bewegt sich im Rhythmus von Erinnerung und Verschwinden. Diese Arthouse-Abstraktion bremst den Fluss der Ereignisse, die dadurch nur bedingt an Tiefe gewinnen.
Gedreht auf 16mm von Koberidze selbst, setzt die Optik auf die grobkörnige Griffigkeit alter Video-Aufnahmen. Der Vintage-Look unterstreicht die zentralen Motive von Verfall, Vergänglichkeit und Vergessen. Licht wird zu einem essenziellen Stilmittel: Es fällt durch gesprungene Fensterscheiben, gleitet über Wellblechdächer, setzt sich in den Ecken verlassener Gebäude ab. Das Filmkorn verleiht der Welt eine brüchige Textur, im Analogie zu der unterschwelligen Kritik an einer Moderne, die marginalisierte Gemeinden außerhalb des urbanen Fokus vergisst und verdrängt.
Gespickt mit poetischen Andeutungen und trockenem Humor, widmet sich Alexandre Koberidzes existenzialistisches Road Movie einer magisch-realistischen Meditation über Abwesenheit, Landschaft und die unsichtbaren Kräfte, die beides formen. Der Titel benennt den „folha seca“-Schuss im Fußball, dessen Flugbahn unvorhersehbar ist. Jener zentralen Metapher folgt auch die non-lineare Struktur: nie ganz greifbar und dennoch zielgerichtet. Der Übergang dieser elegischen Wehmut für das Alte und Etablierte zu nostalgischem Konservativismus und die zermürbende Langsamkeit untergraben indes die bitter-süße Nostalgie.
- OT: Dry Leaf
- Director: Alexandre Koberidze
- Year: 2025