Im Zentrum Ben Rivers mystischer Fantasy-Fabel steht ein kleines Mädchen in abgerissener Kleidung, das mit einer Schildkröte spricht und in einer Ruinen-Landschaft lebt. Doch der britische Regisseur basierte das selbst verfasste Drehbuch seines jüngsten Werks, das wie seine beiden vorangehenden Filme im Wettbewerb von Locarno Premiere feiert, nicht auf Michael Endes “Momo”-Büchern. Obwohl deren Einfluss auf das symbolistische Szenario überdeutlich ist, nennt Rivers als dessen Inspiration Don DeLillos dystopisches Theaterstück “The Word for Snow”.
Dessen minimalistische Handlung entfaltet sich in einer von der Klimakatastrophe versehrten Welt, in der Worte ihre Bedeutung verlieren und einstige Gewissheiten nur blasse Erinnerungen sind. Aus der Gestalt eines Pilgers, der durch diese postapokalyptische Kulisse wandert, macht Rivers die kleine Moon, als die Newcomerin Moon Guo Barker eine Version ihrer selbst spielt. Durch ihren neugierigen Blick zeigen sich Bruchstücke einer Zukunft, in der Erwachsene scheinbar nicht existieren, und von der Zivilisation nur Relikte geblieben sind.
Die junge Protagonistin wandert mit ihrer Schildkröte vorbei an alten Autos und durch verfallende Gebäude. Von manchen beobachten sie andere Kinder, doch weder Verbundenheit noch Feindseligkeit werden greifbar. Kommunikation findet kaum statt, da Sprache augenscheinlich ihren Sinn verliert. Die semantischen Fragmente verlieren sich in Wiederholung und obskurer Assoziation. Ob der sprachliche und zivilisatorische Zerfall verbunden sind oder umkehrbar, bleibt unklar. Genauso ominös sind die Ursache und Auswirkungen der dystopischen Vision, die nie als beängstigende Realität erscheint.
Moons poetische Pilgerreise führt sie zu einer Einsiedlerin und deren Übersetzerin in einer Berghütte. Doch der umständliche Austausch der Drei bringt weder Erkenntnis über die Vergangenheit noch eine Perspektive für die Zukunft. Die existenzielle Exkursion entfaltet sich mit fast traumwandlerischer Gelassenheit. Ohne Regeln, Aufsicht und soziale Zwänge scheint die märchenhafte Topografie überwucherter Ruinen ein endloser Abenteuerspielplatz. Weder gibt es Leichen noch Spuren von Chaos. Der Rest der Menschheit scheint einfach verschwunden – und wird offenbar nicht vermisst.
Die bedrückend nahe Schreckensvision ökologischer Verheerung imaginiert Ben Rivers verspieltes Road Movie als kontrollbefreites Kinderland, ohne Mangel und Ängste. Carmen Pellons Kamera wechselt zwischen intimen Nahaufnahmen Moons nachdenklichen Gesichts und weitläufigen Landschaftsbildern, in denen ihr Alleinsein mehr Autarkie als Einsamkeit vermittelt. Wohin die Erwachsenen verschwunden sind und warum, bleibt eines der zahllosen Rätsel des reduzierten Plots. Eine verträumte Aura umfängt den essayistischen Endzeit-Eskapismus, dessen authentische Hauptdarstellerin und malerische Ästhetik die innere Leere nur bedingt kaschieren.
- OT: Fantasy
- Director: Kukla
- Year: 2025