Einen Traum, wie ihn der Titel Dennis Harveys und Lars Lovens hintergründiger Doku wachruft, träumte Irland bereits vor gut 100 Jahren einmal. Als das Land 1922 einen signifikanten Grad an Unabhängigkeit gegenüber Großbritannien errang, begleitete diesen Sieg die Vision auf eine Wiederbelebung der gälischen Kulturtradition. In jener war Musik heilig, berichtet der Off-Kommentar in einem von Archivmaterial bebilderten Prolog. Sein visueller und historischer Blick in die Vergangenheit durchbricht immer wieder die Szenen aus der Gegenwart.
Begegnungen mit Musikschaffenden, sowohl Bands als auch einzelnen Interpret*innen, zeigen die ungebrochene Bedeutung der Musik. Sie ist weiterhin lebendig, obwohl sich die Hoffnungen der Vergangenheit damals zerschlugen. Die katholische Kirche, deren invasiver Einfluss jahrzehntelang jeden Lebensbereich der Menschen bestimmte, ersetzte das Kolonialregime mit religiöser Repression. Gewalt, Missbrauch, Einkerkerung, staatlich sanktionierte Zwangstrennung von Familien: kollektive, familiäre und individuelle Traumata sind integraler Teil der irischen Geschichte, die in dem nuancierten Kulturporträt ebenso wichtig ist wie die Musik.
Live Sessions, improvisierte Songs und Performance-Aufnahmen etablieren Klang und Gesang als omnipräsentes und universelles Ausdrucksmittel einer jungen Generation. Deren geschärftes politisches, zeithistorisches und soziales Bewusstsein kanalisiert sich in Songs, die traditionelle Elemente und zeitgenössische Einflüsse organisch verbinden. Folk, Rock, Punk oder Rap – die Vielseitigkeit der Stilrichtungen spiegelt die der jungen Musiker*innen. In ihren Texten und ihren Worten vor der Kamera setzen sie sich mit der gewaltvollen Geschichte, dem Kolonialerbe und einer ungewissen Zukunft auseinander.
Künstler*innen-Profile, Nationalhistorie und Kulturanalyse verflechten Dennis Harvey und Lars Lovén zu einem musikalischen Prisma, das die Bedeutung von Musik in der irischen Geschichte und Gegenwart gleichsam dynamisch und differenziert betrachtet. Eine neue Generation Folk-Musiker*innen integrieren traditionelle Komponenten in eigene Kompositionen. Musik ist somit zugleich Medium und Metapher der Verarbeitung generationsübergreifender Traumata: religiöse und koloniale Unterdrückung, Bürgerkrieg, Terrorismus, Migration. Authentisch, humorvoll und hintergründig zeigen die kreativen Facetten das Fortbestehen überlieferten Brauchtums durch Variation und Veränderung.
- OT: Útóipe Cheilteach
- Director: Dennis Harvey, Lars Lovén
- Year: 2025