Wenn die Kamera entlang der zerklüfteten Küstenlinie gleitet oder Ziegen beim friedlichen Weiden in der offenen Landschaft beobachtet, scheint der Ort, den Gaetano Crivaro, Silvia Perra, Ferruccio Goia und Alberto Diana in ihrer dokumentarischen Observation besuchen, fast idyllisch. Doch die Ruhe und Abgeschiedenheit dieser entlegenen Ecke Sardiniens sind absolut und erzwungen. Hier liegen die drei letzten Strafkolonien Europas. Diese heute „Open Air Arbeitslager“ genannten Institutionen sind eine im Verschwinden begriffene Welt, deren Rhythmus, Routine und Regelwerk das Regie-Quartett stumm beobachtet.
Die minimalistische Untersuchung verzichtet bewusst auf einen einordnenden Kommentar oder Schrifttafeln. Erst nach der letzten Szene informiert ein Text, dass Isili, Mamone und Is Arenas die letzten Institutionen ihrer Art sind. Ob dieser Abschluss mit einem mythisch verklärten Kapitel der Strafrechtsgeschichte ein humanistischer Wandel oder Verlust ist, lassen die kargen Bilder offen. Die nüchternen Szenen, die auf visuelle Ausschmückung ebenso verzichten wie auf düstere Verzerrung, spiegeln den einförmigen Tagesablauf der Insassen. Deren spärliche Gespräche sowie die Worte Besuchender liefern den einzigen Wortbeitrag.
Obwohl die immersive Ästhetik sich einer politischen Positionierung enthält, vermitteln die Einblicke judikative Tendenzen. Der Großteil der Gefangene, die das landwirtschaftlich geprägte Gelände bestellen, Tiere versorgen oder innerhalb der Mauern Wartungsarbeiten ausführen, scheint migrantisch oder BIPOC. Die gedehnte Erzählweise macht die Zeit auch für das Publikum spürbar, und eröffnet die Widersprüche des gespenstischen Ortes. Die Produktivität wird zur zehrenden Monotonie, die malerische Naturkulisse erdrückend. Wachtürme, Zeitpläne und Zellengänge erinnern daran, dass Freiheit hier eine Illusion ist und Einsamkeit Teil des Lebens.
Besuch haben die Häftlinge kaum. Die Anreise ist laut Berichten Angehöriger, die nur als anonyme Stimme präsent sind, enorm kostspielig und beschwerlich. Formale Kontrollsysteme – Wachen, Zeitpläne, Grenzziehungen – bleiben konstant an allen Orten. Die Kontinuität der Repression wirkt stärker als die individuellen Gesichter, die sie betrifft. Statische Kompositionen und ruhige Kameraführung betonen die institutionelle Beständigkeit, während weite Landschaftsaufnahmen die Isolation der Außenposten im rauen sardischen Gelände hervorheben. Zweck der Kolonie ist auch das strategische Entrücken eines humanitären Problems aus der öffentlichen Wahrnehmung.
Ohne jeden didaktischen Appell schaffen Gaetano Crivaro, Silvia Perra, Ferruccio Goia und Alberto Diana eine eindringliche Film-Chronik einer Strafstätte, die aus dem Blickfeld und Bewusstsein ausgelöscht ist. Umgebung, Arbeit und die Dynamik zwischen Wächtern und Gefangenen sprechen beredter als jeder Voice-over von der Existenz innerhalb der Mauern und der angrenzenden Gefängnisruine Asinaras. In deren verlassen Ruinen kreuzen sich Tier- und Menschenleben auf geisterhafte Weise. Die Abwesenheit der Inhaftierten macht die fortdauernde Präsenz vergangener Gewalt umso spürbarer: Echo dessen, was weiterhin existiert.
- OT: Nella colonia penale
- Director:
- Year: 2025