Die bezeichnende Schwäche Xavier Giannolis in Luxus, Leid und Laster schwelgender Literaturverfilmung ist, dass der französische Regisseur und Co-Drehbuchautor allzu vernarrt ist in eine Inszenierung, die oftmals mehr theatralisch ist als tragisch, mehr plakativ als pointiert, mehr exzessiv als elegant. Paradoxerweise spiegeln gerade jene Makel, die unter der gediegenen Fassade durchscheinen, perfekt das Wesen des hinterhältigen Hauptcharakters. Dessen jungenhafter Charme transzendiert scheinbar Balzacs Romanvorlage und verführt neben seiner adeligen Förderin Mme. de Bargeton (Cécile de France) und der jungen Boulevard-Schauspielerin Coralie (Salomé Dewaels) auch Giannoli, der in dem von skrupellosen Lucien Chardon (Benjamin Voisin) einen naiven Jüngling sieht.
So wird die Tragikomödie eines verblendeten Egozentrikers, der in Paris sein Talent für Klatschpresse entfaltet, zur Tragödie eines verträumten Dichters, den der großstädtische Moloch verschlingt und materiell und charakterlich ruiniert ausspeit. Dabei sind die verlorenen Illusionen des Buchtitels nicht allein Luciens, sondern der Freunde, Geliebten und sogar Rivalen, die ihn in entscheidenden Momenten unterstützen, bevor er sie verrät. In üppigen Kostümen und überbordenden Szenenbildern posiert das fähige Ensemble für ein melodramatisches Moralstück, dessen zynische Schärfe für den Massengeschmack abgestumpft wurde. Dem Unterhaltungswert der gekonnt komprimierten und pikant garnierten Adaption des in seiner Geschäfts- und Gesellschaftskritik ungebrochen aktuellen Klassikers schadet dies kaum.
Die plakativsten Parallelen zur heutigen Boulevard-Presse findet das Drehbuchautoren-Trio um Regisseur Xavier Giannoli noch in Balzacs Klassiker, dessen überbordendes Narrativ und Figurenensemble das opulente Kostümtheater notwendigerweise zusammenstaucht. Das psychopathologische Potenzial und die sozialsatirische Schärfe der Vorlage verdrängt indes die konventionelle Melodramatik einer amüsanten Künstlertragödie. Die ist nicht nur zu bequem, die narzisstischen und klassistischen Nuancen der Story auszuloten, sondern zu konservativ.
- OT: Illusions perdues
- Director: Xavier Giannoli
- Screenplay: Jacques Fieschi, Xavier Giannoli, Yves Stavrides, Honoré de Balzac
- Country: France, Belgium
- Year: 2021
- Running Time: 149 min.
- Cast: Benjamin Voisin, Cécile de France, Vincent Lacoste, Xavier Dolan, Salomé Dewaels, Jeanne Balibar, André Marcon, Louis-Do de Lencquesaing, Gérard Depardieu, Jean-François Stévenin, Candice Bouchet, Jean-Marie Frin, Saïd Amadis, Isabelle De Hertogh, Laurence Ferraro, Jérémie Bedrune
- Release date: 20.10.2022
- Image © Cinemien