„Der Sugar Man, weißt du wer das ist?“, fragt ein stämmiger Barkeeper in einer eisigen Winternacht auf Detroits Straßen Regisseur Malik Bendjellloul und die Kinozuschauer. Die Frage ist rhetorisch, denn jeder kennt den Sugarman. Die Protagonisten Dennis Coffey und Mike Theodore, die in Michigans Hauptstadt 1970 das Debütalbum eines unbekannten Lokalmusikers produzierten, kennen ihn. Der Schauspieler und Plattenproduzent Steve Rowland, der 1971 mit der nächsten Platte dieses Musikers einen Flop landete, kennt ihn. Stephen Segerman, der 1996 das CD-Booklet zu dieser in seiner Heimat Jahrzehnte verbotenen Kult-Aufnahme schrieb, kennt ihn genau wie Musikjournalist Craig Bartholoew-Strydom, den der Bookelt-Text zur titelgebenden Suche anregte.
Der Sugarman ist der Typ, der Stoff hat und die Realitätsüberdrüssigen und Wirklichkeitsmüden damit für ein paar Stunden aus ihrem grauen Alltag befreit. The Connection aus Shirley Clarkes „The Connection“ aus The Man Lou Reeds „Waiting for the Man“, der Sugar Man aus „Sugar Man“ von dem Künstler, der so berühmt sein müsste wie Clarke und Reed zusammen, doch es nie war. „Sugar Man won´t you hurry ´cause I´m tired of these scenes“, bitte der Song, der die Eingangsszene von Malik Bendjelllouls bitter-süßer Reportage untermalt. „Komm schon, beeil dich, Sugar Man …“ Die lyrische Blues-Nummer ist ein Symbol für das Ziel der Suche, auf die sich das melancholische Kinodebüt begibt: der Sänger, dessen schwermütige Lieder die außergewöhnliche Musikbiografie tragen. Sein Name ist Sixto Rodriguez; das er wohl bekannter durch Bendjelllouls Reportage wurde als durch seine Musik, zeigt vielleicht am deutlichsten seine Unbekanntheit. Der 1942 in Detroit als sechstes Kind mexikanischer Emigranten geborene Künstler verließ nach zwei desillusionieren Plattenmisserfolgen die Bühne. In jeder Beziehung. „Es war nicht einfach ein Selbstmord“, heißt e einmal: „Es war wahrscheinlich der groteskeste Selbstmord in der Geschichte des Rock.“
Das perfekte Ende für einen geheimnisumwitterten Blues-Dichter, der nie die verdiente Karriere bekam, und der rote Faden, aus dem Legenden gewoben werden. Jeder der Protagonisten erzählt sie ein bisschen anders: Nach einem kaum besuchten Konzerte wandte Rodriguez dem Publikum den Rücken zu und erschoss sich. Er steckte sich auf der Bühne in Flammen und verbrannte. Nach der schlichtesten Variation nahm er einfach eine Überdosis Drogen. Seine Alben „Cold Fact“ und „Coming from Reality“ blieben obskur – jedenfalls in den USA. Im Südafrika der Apartheid wurden die kritischen Stücke zu Klassikern der rebellischen Musikszene. „Es war einer der größten Erfolge der damaligen Zeit, aber niemand hat etwas davon mitgekriegt“, sagt ein Produzent über Rodriguez, der nicht einfach „nur ein Talent“ sei: „Er ist ein Weiser, ein Prophet.“ Das ist gewiss weit vorgegriffen, doch die wenigen Songs sprechen beredter dafür als die Ehrenbezeigungen der Bewunderer. Verschlüsselt in der Musik liegt auch die elementare Erkenntnis der faszinierenden Spurensuche – sogar für den Regisseur. Er hatte vor der zufälligen Begegnung mit Sergman keines der Stücke gehört. Und „in meinem Leben noch keine bessere Story“ als die ihres Schöpfers.
Seine unglaubliche Geschichte hat er gegen alle Widerstände gedreht, geschrieben hat sie das Leben. Es hält eine Pointe bereit, die im Grunde keine mehr ist, nachdem Searching for Sugar Man auf diversen Festivals ausgezeichnet wurde und die Auflösung bekannt ist. Doch der Charme des Sängers, der wahrhaftig eine lebende Legende ist, braucht keine Schaueffekte, um zu wirken. Er besteht als Trost gegen das harsche Fazit der Hommage, das der südafrikanische Gitarrist Willem Möller formuliert: „Zuhause ist, wo man akzeptiert wird.“ Vielleicht bleiben Menschen wie der Rodriguez darum immer, was die Lieblingsprotagonisten seiner Songs sind: Rastlose und Drifter.
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