Gut hundert Jahre nach Erscheinen der zugrundeliegenden Novelle, die D.H. Lawrence eigens redigierte, um die groteske Homophobie und Misogynie der patriarchalischen Parabel noch zu verstärken, und mehr als fünfzig Jahre nach der gleichnamigen ersten Verfilmung versucht sich Matthias Luthardt an einer filmischen Neuinterpretation von „The Fox“. Ob der Titel geändert wurde, um Verwechslungen mit Adrian Goigingers ebenfalls während des Ersten Weltkriegs angelegter Tiergeschichte zu vermeiden, oder um die dramaturgische Umorientierung zu betonen, bleibt vage.
Umso deutlicher ist dafür die Abwandlung der sexuellen und soziologischen Symbolik der destruktive Dreiecksgeschichte auf eine theologische und existenzialistische Ebene. Die immanente Entscheidung der jungen Bauerntochter Luise (Luise Aschenbrenner) ist nicht mehr allein die zwischen Heteronormativität und lesbischer Liebe. Ihre schwankenden Sympathie für Französin Elsa (Christa Théret), die auf ein selbstbestimmtes Leben in Belgien hofft, und Fahnenflüchtling Hermann (Leonard Kunz) spiegeln ihre Haltung zu Traditionalismus und Fortschritt, Assimilation und Authentizität, religiösem Dogma und instinktiver Natürlichkeit.
Letzte verkörpert der Fuchs, den Luise beim Hühnerraub ertappt und nicht erschießen kann. Bei Lawrence noch Sinnbild ungebändigter Manneskraft und vorgeblicher weiblicher Lebensuntauglichkeit, symbolisiert das Raubtier in Sebastian Bleyls Drehbuch die intuitive Zuneigung der Frauen im Gegensatz zum militaristischen Machtdenken, das eine vierte Figur in den hermetischen Handlungsraum der Hütte. Die buchstäbliche und sinnbildliche Grenzlage der in schwärmerischen Stimmungsbildern eingefangenen Waldlandschaft betont das Unerlässliche eines inneren Kompasses in einer Ära irriger ideologischer und politischer Dogmen.
Lyrische Naturaufnahmen, prototypische Figuren und eine Spur rustikaler Romantik verleihen Matthias Luthardts revisionistischer Romanadaption die entrückte Atmosphäre eines Märchens. Darin sind die Rollen der psychologisch vertieften Figuren keineswegs so festgelegt, wie es scheint. Die Entscheidung der von Luise Aschenbrenner nuanciert porträtierten Titelheldin zwischen Selbstbestimmtheit und der Zugehörigkeit zu einer von Frömmigkeit und Pflicht bestimmten Gesellschaft rückt ins Zentrum der metaphorischen Ménage à trois. Deren Autor würde angesichts der Modernisierung im Grab rotieren – keine schlechte Sache.
- OT: Luise
- Director: Matthias Luthardt
- Screenplay: D.H. Lawrence, Sebastian Bleyl
- Country: Germany, France
- Year: 2023
- Running Time: 95 min.
- Cast: Aleksandar Jovanović, Christa Théret, Leonard Kunz, Luise Aschenbrenner
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