Die titelgebende Alm, auf die der eremitische Hauptcharakter vier Jahrzehnte lang der Zivilisation entflieht, bis ein Tumorleiden zu seinem unfreiwilligen Rettungstransport ins Tal führt, bleibt in Adrian Goigingers zweitem Langfilm abstrakter Sehnsuchtsort. Dessen gleichsam existenzielle und spirituelle Ausstrahlung auf den begüterten Großbauernsohn Elias (jung: Jakob Mader) bleibt ein Mysterium im mehrfachen Sinne. Dort oben ist er der Welt nicht nur fern, sondern näher bei Gott, der verstorbene Mitmenschen wie an einem irdischen Petrus vorüberziehen lässt.
Dieses visionäre Motiv verweist auf die zentrale Schwäche der Story, die paradoxerweise den zwischenmenschlichen Kontakt, dem Elias in jungen Jahren den Rücken kehrt, beständig sucht. Zudem ist die Überhöhung psychosozialer Divergenz als Gottesnarretei eine problematische Instrumentalisierung gesellschaftlicher Stigmatisierung im Dienste einer christlichen Botschaft. Die christliche Metaphorik verstärkt den Kitschfaktor der schwelgerischen Aufnahmen malerischer Berglandschaft, sondern konterkariert die sich aufdrängende Kritik an katholischen Moralmaßstäben. Letzte sind entschiedener Faktor einer gesellschaftlichen Entfremdung, die sich nie vollends erschließt.
Warum sich der verschlossene Protagonist nicht der Gegenkultur der 68er zuwendet oder sein Vermögen zur freien Lebensgestaltung verwendet, kann auch Johannes Krischs intensive Darstellung des alten Elias nicht enthüllen. Die psychologische Leerstelle steht paradigmatisch für die biografischen Auslassungen der Adaption Felix Mitterers gleichnamigen Bühnenstücks. Selbiges basiert auf der realen Figur des Simon Wildauer, für den die Berge wohl auch ein Schutzort waren: vor einer drohenden Internierung in Innsbrucks berüchtigter Irrenanstalt, die nur flüchtig Erwähnung findet.
Seine faszinierendsten Themen streift Adrian Goigingers ambitioniertes Aussteiger-Drama nur: psychiatrische Diagnostik als Instrument der Bestrafung individuellen Aufbegehrens gegen ein christliches Moralpatriarchat; Stigmatisierung physischer Reaktion auf toxische Lebensumstände als „psychische Erkrankung“; die (Un)Möglichkeit einer vollständigen Loslösung von sozialen Kontakten. Während sich die Inszenierung auf ländliche Milieustudie und Familienpathologie konzentriert, bleibt der Hauptcharakter letztlich ein Rätsel. Dennoch besticht die Theateradaption durch hervorragende Besetzung, erhabene Gebirgskulissen und aufrichtige Empathie für einen Protagonisten buchstäblich außerhalb des Sozialgefüges.
- OT: Märzengrund
- Director: Adrian Goiginger
- Screenplay: Felix Mitterer, Adrian Goiginger
- Country: Austria, Germany
- Year: 2022
- Running Time: 110 min.
- Cast: Verena Altenberger, Gerti Drassl, Annalena Hochgruber, Johannes Krisch, Jakob Mader, Harald Windisch
- Release date: 25.08.2022
- Image © Prokino Filmverleih