Vorwerfen kann manThea Sharrocks Tearjerker vieles, von dem einiges in dieser Kritik aufgezählt wird. Aber die lauteste Anschuldigung gehört nicht dazu. Keiner suggeriert hier, Behinderte seien tot besser dran und der Plot ist nicht pro Sterbehilfe. Im Gegenteil.
Die Verfilmung von Jojo Moyes gleichnamigem Bestseller macht von Anfang an unbarmherzig klar, dass das Leben ein Märchen ist und wer eigenmächtig den Schlusspunkt darunter setzt, begeht einen tragischen Fehler. Im von Moyes zusammen mit Scott Neustadter und Michael H. Weber verfassten Skript tut das William Traynor (Sam Claflin). Der Hauptcharakter ist eine Kreuzung aus Mr. Darcy und einer netten Version von Patrick Bateman, den Freunde wegen seiner wagemutigen Athletik mit James Bond vergleichen. Damit ist nach ein paar Filmminuten Schluss. Zack, Unfall, vom Hals abwärts gelähmt. Als man Will das nächste Mal trifft, sieht er immer noch gut aus, nur mehr wie der struppige Sänger einer Indie-Band. Dank des unerschöpflichen Budgets seiner liebevollen Eltern Camilla (Janet McTeer) und Steven (Charles Dance) hat er alles, außer seiner Gesundheit. Wer behauptet, Sharrocks tumbes Kinodebüt würde Gehandicapte als Belastung für ihre Angehörigen darstellen, hat den Film entweder nicht gesehen oder überhört dessen hartnäckige „Du hast doch so viel, für das es sich zu leben lohnt“-Leier. Vielleicht könnte man Will bemitleiden, wenn er vorher kein aalglatter Topmanager gewesen wäre. Aber die süßliche Herzschmerzvariation von Ziemlich beste Freunde wendet sich nicht an das Publikum der „Filme mit Untertitel“, die Lou und Will schauen, sondern an die von Nicholas Sparks.
Die Reichen, Schönen und Reaktionären sind hier die Wohltäter der quietschfidelen Armen, zu denen die frisch gekündigte Louisa Clark (Emilia Clarke) zählt. Die trampelige Modeverrückte aus der bildungsfernen Arbeiterschicht wird als Wills Bespaßerin engagiert. Schließlich gewinnt sie den biestigen Traumprinzen, der statt auf dem Ross im Rollstuhl sitzt und sogar ein Schloss besitzt, mit ihrer tölpelhaften Gutherzigkeit. Lou ist die Unerträglichste des Ensembles aus Klischeefiguren, nicht zuletzt durch die miserabel spielende Clarke. Ihre Figur kriegt ihre Cinderella-Story und verfeinert ihr proletarisches Wesen dank der kultivierten Elite. Der verbrämte Klassizismus und subtile Konservativismus der klebrig-zähen Romanze regte offenbar niemanden auf. Das Thema dafür Sterbehilfe schon. Dabei ist Wills Gesuch an die Schweizer Organisation Dignitas bloß ein austauschbares Plotvehikel, das garantieren soll, dass zum Schluss die Taschentücher rausgeholt werden. In Sweet November war es Krebs, in Moulin Rouge Schwindsucht, in Love Story Leukämie. Hier ist es Sterbehilfe. Mal was anderes. Der Rest ist genauso wie in zahllosen Kinoschnulzen. Es gibt Szenen mit Schneefall, Schlossbesuch, Ballbesuch, Strandspaziergang und Sternenhimmel, alles ach so herzergreifend.
Von Wills Leiden sieht man praktisch nichts, aber sein Pfleger Nathan (Steve Peacocke) ist dafür da, um es vor Lou und dem Publikum zu behaupten. Die Realität eines einschneidenden Handicaps soll die verschnörkelte Stimmung bloß nicht ruinieren, genauso wenig die Debatte über das Recht auf Freitod. Lous Mutter (Samantha Spiro), die vorm Essen betet und ein Kreuz trägt, nennt es Mord, die Schwester (Jenna Coleman), denkt gleich an die Bucket List. Was war es da noch mal? Ah ja: Krebs im Doppelpack. Mal sehen, was sich besser verkauft.
- OT: Me before You
- Regie: Thea Sharrock
- Drehbuch: Jojo Moyes
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2016
- Laufzeit: 110 min.
- Cast: Emilia Clarke, Sam Claflin, Steve Peacocke, Jenna Coleman, Janet McTeer, Charles Dance, Matthew Lewis
- Kinostart: 23.06.2016
- Beitragsbild © Warner Bros.