Von der ersten Einstellung an wird überdeutlich, dass Leos Caraxs Musical-Metapher um das männliche Ego kreist – nicht nur so, wie von seiner Verfilmung eines Sparks-Brothers-Albums beabsichtigt. Ein scheinbares Durchbrechen der Vierten Wand zum Auftakt ist Teil der Selbstinszenierung des Regisseurs als ein besser Vater als der destruktive Hauptcharakter. Stand-up-Comedian Henry McHenry (Adam Driver) ist der prototypische Bad Boy, der trinkt, qualmt und Motorrad rast. Doch Carax verkennt und verklärt das Klischee zur antagonistischen Urkraft mit diabolischem Tiefgang. Davon ist die Bühnennummer des selbsternannten „Ape of God“ indes so weit entfernt wie die triumphale Theatralik seines provozierten Niedergangs.
Den interpretiert der durchgehend gesungene Plot als männliches Aufbegehren gegen weibliche Domestikation. Henrys als Nizscheanischer Abgrund mystifizierter Misogynie trifft sechs anonyme Anklägerinnen, seine eindimensionale Opernsängerin-Gattin Ann (Marion Cotillard) und schließlich beider titelgebender Tochter. Ihre Darstellung als Chucky-like Marionette sagt weniger über den Anti-Helden als Caraxs. Dessen Protagonistinnen sind passive Objekte männlicher Inspiration und Ambition, prädestiniert zu implizit willigen Opfern. Sympathie und Interesse der plakativen Pinocchio-Parabel gelten dabei Tätern wie Henry. Aggressive Egomanie stilisieren die Einzeilen-Songtexte zu Charisma, toxische Männlichkeit zu tragischem Genie und den Regisseur – mit dem abgenutzten argumentativen Verweis auf weibliche Verwandtschaft – zum feministischen Vatervorbild.
- OT: Annette
- Regie: Leos Carax
- Drehbuch: Ron Mael, Russell Mael
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2021
- Laufzeit: 139 min.
- Cast: Adam Driver, Marion Cotillard, Simon Helberg, Carina Thacker, Angèle, Natalia Lafourcade, Sinay Bavurhe, Franziska Grohmann, Rachel Mulowayi, Christiane Tchouhan, Iman Europe, Lauren Evans, Natalie Mendoza, Kiko Mizuhara, Noémie Schellens, Kanji Furutachi
- Kinostart: 16.12.2021
- Beitragsbild © Alamode Film