Mythische Allegorie, feministische Selbstbehauptung und stilisiertes Sittengemälde verwebt Emma Benestan zu einer filmischen Fabel über patriarchalische Traditionen, archaische Instinkte und die transformative Kraft animalischer Wut. Vor der imposanten Landschaftskulisse der französischen Camargue evoziert der mystische Body Horror der französisch-algerischen Regisseurin uralte Sagenmotive und lokale Legenden. Jene untermauern eine zeitgemäße Reflexion über die Verknüpfung von misogyner Gewalt und Traditionalismus sowie das unebene Machtverhältnis zwischen Mensch und Tier. Beide Aspekte kulminieren in der brutalen Tradition der „course camarguaise“.
Bei der Variation des Stierlaufens hat sich die 22-jährige Nemja (eindrucksvoll: Oulaya Amamra) als einzige Frau einen Platz in der Arena errungen. Ihr alter Mentor Léonard (Claude Chaballier) und dessen Sohn Tony (Damien Rebattel), dem das gefährliche Ritual eine dauerhafte Verletzung eingebracht hat, unterstützen die ehrgeizige Protagonistin. Stolz auf ihre vermeintliche Anerkennung in der Männerdomäne ignoriert sie die spöttische Sexualisierung und verkappte Aggression ihrer Mitstreiter Jordan (Elies-Morgan Admi-Bensellam), Kylian (Vivien Rodriguez) und Arthur (Pierre Roux).
Nach einer durchzechten Nacht nahe einer Stierweide erwacht Nejma ohne Erinnerung mit einer seltsamen Wunde. Bald darauf wird Arthur tot aufgefunden, angeblich zerrissen von einem Bullen, der bei ihrem ersten Wettkampf verletzt wurde. Ein zweiter Todesfall entfacht panische Wut in der Gemeinde, die Nemjas unheimliche Veränderung kaum bemerkt. Mit malerischer Präzision erfasst Ruben Impens Kamera die staubigen Weiten der Camargue in sepia-getönten Bildern von rauer Kraft. Surreal flirrend und karg, erscheint der stimmungsvolle Schauplatz gleichsam mystisch und lebensecht.
Sonnenverbrannte Tagesszenen weichen gespenstischen Nächten, in denen die schwarzen Stier-Silhouetten im Mondlicht glänzen. Naturalistische Nahaufnahmen von Erde, Blut und Muskeln wechseln mit dem suggestiven Symbolismus fiebriger Traumsequenzen. Animalisches Schnauben, heiserer Atmen und pochende Herzrhythmen verschmelzen mit minimalistischer Musik zu einem sonoren Klangteppich. Mit emotionaler Körperlichkeit zeigt Amamra Nejma als zugleich kämpferisch und verwundbar. Ihre Metamorphose ist weniger groteskes Grauen als Ausdruck unterbewussten Traumas. Bedeutsamer als Spektakel ist die kathartische Eruption weiblicher Wut angesichts patriarchalischer Gewalt.
Mythos und regionale Tradition verschmelzen zu einer animalischen Allegorie von Rache, Rituale und Rebellion in Emma Benestans atmosphärischem Body-Horror. Dessen packende Hauptdarstellerin und evokative Bildsprache verwurzeln das Übersinnliche in einer rohen Wirklichkeit. Die Deutung klassischer männlicher Potenz-Symbole als Sinnbild ungezähmter weiblicher Kraft definiert Stärke als ursprüngliches feminines Charakteristikum. Indes verdrängt die psychologische Parabel nicht nur Genre-Elemente, sondern jegliche Kritik an der Tierquälerei. Diese Legitimation der martialischen Konventionen, auf denen chauvinistische Gewalt fundiert, untergräbt die emotionale Wucht und visuelle Intensität.
- OT: Animale
- Director: Emma Benestan
- Year: 2025