Mit seiner bislang ambitioniertesten Regie-Arbeit entwirft Dennis Gansel ein allegorisches Antikriegsstück, das sich überdeutlich an Coppolas Apocalypse Now, Samuel Maoz’ Lebanon und in seinen psychologischen Grenzverschiebungen und infernalischem Fazit auch Lars von Triers The House That Jack Built orientiert. Dessen spukhaftes Setting ist die Ostfront im Jahr 1943. Die Niederlage des Deutschen Reichs ist längst absehbar. Das Ziel der meisten ist nur noch mit dem eigenen Leben davonzukommen. Ein Geheimauftrag führt eine Handvoll Wehrmacht-Soldaten im titelgebenden Tiger-Panzer auf eine Reise ins Niemandsland und menschliche Abgründe.
Der äußere Feind in Gestalt sowjetischer Soldaten dringt in Einzelmomenten eruptiver Eskalation in das Geschehen, bleibt aber überwiegend im Hintergrund. Im Zentrum der fatalistischen Fahrt zu einem entlegenen Bunker, wo ein Oberst sich mit entscheidenden Lageplänen verschanzt hat, steht der psychische und moralische Zerfall des Figuren-Quintetts. Unter unerschütterlichem Kommando Lieutenant Gerkens (David Schütter) steuern Richtschütze Weller (Laurence Rupp), Fahrer Helmut (Leonard Kunz), Funker Keilig (Sebastian Urzendowsky) und der Jugendliche Nachlader (Yoran Leicher) das angeschlagene Kriegsgerät. Des isolierendes Inneres wird Schauplatz eines kaustrophobischen Kammerspiels.
Die Kamera verharrt in der Enge des „eisernen Sargs“, wie Helmut treffend das Gefährt nennt. Schwitzende Gesichter, zitternde Hände und geweitete Pupillen vermitteln die nervliche Anspannung der Truppe. Das verengte Blickfeld der Sichtluke wird Synonym der auf Kampf beschränkten Perspektive. Meth in Form des als Panzerschokolade geläufigen Aufputschmittels Pervitin treibt die Charaktere immer tiefer in surrealen Schrecken. Ohne den realistischen Rahmen zu unterlaufen, nutzt die Handlung zunehmend Genre-Elemente. Zwischen Wahn und Wirklichkeit lösen die Grenzen von seelischem und physischem Grauen sich auf.
Fokussiertes Schauspiel zeigt Reste von Menschlichkeit hinter der ethischen Abstumpfung, ohne die Männer als Opfern der Umstände zu entschuldigen. Gerkens wiederholtes Argument, sie würden nur Befehle befolgen, entbindet niemanden von der moralischen Mitschuld. Sorgsam dosierte Gewalt bleibt roh und verstörend sinnlos, motiviert durch Sadismus oder Kadavergehorsam. Die strudelartige Struktur, untermalt von dissonantem Soundtrack und tieffrequenten Vibrationen, folgt einer Abwärts-Spirale. Deren konsequentes Ende antizipieren stygische Vorzeichen. Es gibt keine Heldenreise, Erlösung oder Katharsis. Krieg wird zum kafkaesken Alptraum, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Nach Napola und Die Welle untersucht Dennis Gansel erneut militärische Mechanismen, strategische Selbstverblendung und gewaltvolle Gruppendynamik in einem abgegrenzten Szenario. Sein apokalyptischer Anti-Kriegsfilm verknüpft gekonnt Psycho-Thriller, Frontdrama und Mystery-Metapher zu einem nihilistischen Road Movie von unerwarteter visueller und atmosphärischer Wucht. Pervertierte Ehrbegriffe, verdrängte Schuld und normalisierter Fanatismus schaffen ein Prisma ideologischer Zersetzung. Schauer-Motive verleihen den stimmungsvollen Bildern die phantasmagorische Schaurigkeit eines grausamen Märchens. Schauspielerisch präzise und formal radikal, ist die kompromisslose Parabel ein seltener Beweis dafür, dass das hiesige Kino durchaus Genrefilm kann.
- OT: Der Tiger
- Director: Dennis Gansel
- Year: 2025