Dass Clint Eastwoods geriatrisches Gerichtsdrama von eingefleischten Fans des Regisseurs als gewichtige Gewissens- und Gesetzstudie verklärt wird, ist zwar nicht gerechtfertigt, aber verständlich. Immerhin handelt es sich bei dem revisionistischen Ripp-off von Sidney Lumets Kammerspiel-Klassiker 12 Angry Men um seinen wohl letzten Film. Als der galt andererseits auch der unterirdische Cry Macho. Im Vergleich zu dessen aberwitzigen Schauspiel und Story wirkt Juror #2 geradezu wie filmische Feinarbeit, wozu maßgeblich beiträgt, dass Eastwood neben der Inszenierung nur die Produktion übernahm, statt wie üblich die Hauptrolle. In der muss Nicholas Hoult als Titelcharakter in einem Mordfall mitentscheiden, in den er selbst verwickelt ist.
Mit seiner schwangeren Frau (Zoey Deutch) im perfekten Heim hat der Ex-Alkoholiker allen Grund, sein Verschulden des Todes der jungen Kendall, deren On/Off-Freund James (Gabriel Basso) der einzige Verdächtige ist, zu verheimlichen. Seine Versuche, die anderen Jury-Mitgliedern von James möglicher Unschuld zu überzeugen, geraten zur neo-konservativen Neuausrichtung Lumets Szenario. Dessen Kernmotiv vorschneller Verurteilung sozialer und ethnischer Minderheiten verkehrt Drehbuchautor Jonathan Abrams ins Gegenteil. Noch perfider ist die narrative Invertierung misogyner Prozesspraktiken des Freispruchs von Femiziden, die als unlösbar dargestellt werden – oder absurder Unfall. Ein solcher ist auch Kendalls Tod, den die politisch ambitionierte Rechtsanwältin Killebrew (Toni Collette) als Wahlkampagne nutzt.
Zum Glück erklärt ein alter weißer cis Ex-Cop (J. K. Simmons) der feministisch verblendeten Hardlinerin die Unstimmigkeiten der Beweislage. Das untergräbt frühzeitig auch die argumentative Suspense der Debatte, nachdem der Kriminalfall bereits in der ersten halben Stunde aufgelöst wurde. Die systematische Beseitigung kriminalistischer Spannung und zwischenmenschlicher Dynamik schafft nicht mal Raum für psychologische Dilemma oder ethische Fragen. Es scheint, als wäre jeglicher Unterhaltungswert lediglich eine unerwünschte Ablenkung von der chauvinistischen Moral. Collettes gewohnt überzeugende Darstellung gleicht Hoults schwaches Schauspiel genauso wenig aus wie Formelhaftigkeit und Fragmentierung der wirren Inszenierung. Jene reißt willkürlich Dramaturgie-Konzepte wie perspektivische Variation an, ohne sie zu entwickeln.
- OT: Juror #2
- Director: Clint Eastwood
- Screenplay: Jonathan Abrams
- Year: 2024
- Distribution | Production © Warner Bros.