Die verkappten Ressentiments eines scheinheiligen Bildungsbürgertums vorzuführen, das gelingt Julie Delpy in ihrer neunten Spielfilm-Inszenierung tatsächlich. Allerdings offenbart die französisch-amerikanische Regisseurin und, wie so oft in ihren eigenen Filmen, auch Hauptdarstellerin unfreiwillig vor allem ihren eigenen selbstgerechten Scheinhumanismus. Jener spricht besonders aus der finalen Pointe der generischen Culture-Clash-Komödie um eine syrische Familie in einem verschlafenen Provinznest. Dessen Bewohnende hatten zwar dafür gestimmt, doch sie wollten Ukrainer. Die vielversprechende Prämisse berührt ein ebenso aktuelles wie vernachlässigtes Themengebiet – und vermeidet es tunlichst.
Der krampfig konventionelle Humor der scheindokumentarischen Eröffnungsszenen erstickt die vagen Ansätze satirische Sozialkritik. Vor der Kamera des Regionalfernsehens gibt sich Bürgermeister Lejeune (Jean-Charles Clichet) gastfreundlich. Seine Gemeinde hingegen hat gemischte Gefühle und augenscheinlich noch nie Kontakt mit Menschen, die keine weißen Ur-Bretonen sind. Grundschullehrerin Joëlle (Regisseurin Delpy) ihre Chance sieht, allen eine Lektion in Humanismus zu erteilen. Das Publikum sitzt gefühlt ebenfalls nicht im Kino, sondern auf der Schulbank, wozu die wenig cineastische Optik beiträgt. Zu lernen gibt es wenig.
Die abgestandenen Witze sind so vorhersehbar wie das Happy End. Schließlich sind die sechsköpfige Familie des Architekten Marwan (Ziad Bakri) und die Dorfbewohner im Grunde alle gleicher Herkunft: aus der Klischeekiste. Marina, seine Schwester Alma (Rita Hayek) und die Gattin sind allesamt Akademiker, der Großvater Dichter, die zwei Kids tadellos. Umgekehrt sind die Dorfbewohnenden mit Ausnahme eines eingefleischten Nationalisten alle herzensgut. Sie brauchen nur etwas Belehrung vom ethischen Leitlicht Joëlle/Delpy. Selbstironie ist in dem seichten Szenario ebenso rar wie Lacher.
Die TV-Doku-Perspektive, die der ersten Hälfte Julie Delpys schematischer Provinz-Komödie Mockumentary-Anleihen gibt, wird so abrupt aufgegeben wie jede moralische und psychologische Differenzierung. Statt sich mit dem besonders in Frankreichs Provinz wachsenden Nationalismus auseinanderzusetzen, bagatellisiert ihn die schematische Story. Deren Darstellung Geflohener prägen realitätsferne Idealansprüche und pseudo-aufgeklärter Paternalismus. Das Schauspiel bleibt passend zu den plumpen Gags auf Klamauk-Niveau. Die holprige Inszenierung gleicht einer Lokal-TV-Produktion ähnlich jener, deren Team im Film abzieht, weil es hier nichts zu filmen gibt. Das immerhin ist authentisch.
- OT: Les barbares
- Director: Julie Delpy
- Year: 2024