Ist das vermeintlich stabile Gerüst der Erinnerung tatsächlich wie Ton verformbar, dass schon ein suggestives Wort oder mediale Berichterstattung sie nachhaltig beeinflussen können? Ist die persönliche Geschichte eines Menschen tatsächlich mehr ein Konstrukt aus fremden oder gar fiktiven Eindrücken, die das tatsächlich Erlebte verzerren oder komplett verdrängen? Das zumindest vermittelt Hendrik Löbberts unebene Mischung aus professionellem Porträt und Wissenschafts-Doku. Der filmische Exkurs in das trügerische Terrain menschlicher Erinnerung fokussiert sich ganz auf Elizabeth Loftus‘ bahnbrechende Arbeit, die den titelgebenden Disput entfachte.
Die renommierte Psychologin, die durch ihre Forschung zur Unzuverlässigkeit des Erinnerungsvermögens ambivalente Berühmtheit erlangte, erhält reichlich Gelegenheit, ihre Position darzulegen. Nach Loftus‘ Überzeugung ist es ein Leichtes, Erinnerungen zu beeinflussen oder gänzlich zu implantieren. Diese Position bildete die Basis Loftus lukrativer Laufbahn als Beraterin in juristischen Verfahren, auf deren Kontext sich der Regisseur fokussiert. Von den zu Beginn aufgeführten High-Profile-Fällen wie O.J. Simpson, Rodney King, Martha Stewart, Michael Jackson und Harvey Weinstein werden indes nur zwei genauer betrachtet – dazu bezeichnend einseitig.
Kritik an ihrer rentabler Rolle als Gutachterin der Verteidigung wird implizit mit sexistischen Schmähungen gleichgesetzt. Gegenstimmen zu ihren durchaus strittigen Theorien kommen praktisch nicht zu Wort. Gekonnte Gegenüberstellung von Archivmaterial aus Gerichtsprozessen und aktuellen Interviews mit Loftus untermauern nicht nur ihre Thesen, sondern legitimieren auch ihre ethnisch fragwürdige Tendenz zu medienwirksamen und finanziellen Ausschöpfung ihrer Expertise. Deren Widersprüche und Unstimmigkeiten werden ebenso ausgeblendet wie die exorbitanten Honorare – allein 14.000 Dollar für ihr Statement zugunsten Harvey Weinsteins – für ihre Auftritte vor Gericht.
Kameramann Hajo Schomerus und Editorin Yana Höhnerbach setzen in ihrer ruhigen, doch konzentrierten Komposition auf ruhige Übergänge und klare Bildkompositionen. Die unscharfen Bilder historischen Video-Materials werden zur visuellen Metapher unbeständiger Erinnerung, mediale Desintegration zur Analogie mentalen Verfalls. Szenen mit Loftus in ihrem akademischen und häuslichen Umfeld stehen im Kontrast zu den angespannten Aufnahmen aus Gerichtssälen und Talk Shows. News-Ausschnitte und alte Zeitungsartikel unterstreichen die Selektivität medialer Informationen. Gerade diese vorgebliche Bias ist indes auch die Schwachstelle der thematisch hoch spannenden Abrisses.
Die Komplexität und Konfliktivität der faszinierenden Materie überfordert letztlich Hendrik Löbberts unebene Mischung aus Werkschau, Würdigung und Wissenschaft. Elizabeth Loftus‘ Schaffen wird mehr zum Dogma erhoben als differenziert durchleuchtet. Die sensationalistische Musik und Ansätze emotionaler Manipulation unterstreichen den Mangel an kritischer Objektivität. Dennoch liefern geschliffen strukturierte Prozess-Ausschnitte, Medien-Berichte, aktuelle und ältere Interviews einen dynamischen Einblick in Loftus Forschung. Deren zwiespältiger Einfluss auf eine postfaktische Gegenwart von Fake News und Forschungsphobie wird ebenso ignoriert wie die ethischen Kontroversen um die erwähnten Kriminalfälle.
- OT: Memory Wars
- Director: Hendrik Löbbert
- Year: 2025