In einer frühen Szene Galder Gaztelu-Urrutias dritten Spielfilms und zweiter neuer Idee seit seinem vielversprechenden Debüt The Platform hält Mary Elizabeth Winsteads Hollywood-Executive Laura eine Ausgabe Henry David Thoreaus Walden. Der Moment illustriert nicht nur exemplarisch die signalhafte Symbolik und plakativen Pop-Philosophie der Pandemie-Parabel, sondern deren reduktive Restaurationsvision. Jene basiert ironischerweise auf gerade der wohlstandsverwöhnten Wertfixierung, die der futuristische Endzeit-Thriller oberflächlich kritisiert. Die titelgebende Super-Grippe rafft die ruchlosen Reichen, mit denen Laura auf exklusiven Events in satirischen Stakkato-Dialogen Feindseligkeiten austauscht, dahin und arbeitet sich die soziale Leiter herab. Der Strom an Flüchtenden kehrt sich um zu den ärmsten Ländern.
Dass deren ausgeraubte Ressourcen kollabieren müssten, ist längst nicht die größte Logiklücke. Selbst, wenn man die pointierte Prämisse einer Kapital-Krankheit annimmt, krankt die Story an ihren eigenen Parametern. Wirr ist nicht nur das fiktionale Weltbild, sondern Wertschema. Wohlstand ist wesentlich komplexer als Bankguthaben. Die Beschränkung aufs Materielles unterstreicht, was bereits der Fokus auf das Milieu der Multimillionäre verrät: Reelle Kritik an Privilegien interessiert den Regisseur und seine Co-Drehbuchautoren so wenig wie hintergründige Umverteilungs-Szenarien. Neben den spannenden Aspekten der intellektuellen Ebene werden auch die der dramatischen übersprungen. Was bleibt ist an Satire, Sozialkritik und Spannung gleichermaßen arm – nicht im guten Sinne.
Dass die futuristische Finanz-Flucht die Protagonistin nicht nur zum vermeintlich guten einfachen Lebenswandel zurückführt, sondern einer heteronormativen, patriarchalischen Monogamie inklusive Mutterrolle, enthüllt den reaktionären Subtext Galder Gaztelu-Urrutias diffuser Dystopie. Deren auf den ersten Blick originelle Prämisse ignoriert das phänomenale Potenzial zu Systemkritik und Sozialsektion zugunsten plumper Polemik gegen zum Feindbild degradierte Gesellschaftsschichten. Teil dieses verklausulierten Klassismus ist der paternalistische Blick auf ärmere Schichten, die in der unausgegorenen Handlung kaum auftauchen. Solides Schauspiel ist ein geringer Ausgleich für den Mangel an Spannung und gesellschaftspolitischem Biss. Die satirische Schärfe seines Kino-Debüts ersetzt ein opportunistischer Mainstream-Moralismus, dessen kommerzielles Kalkül noch der amüsanteste Aspekt ist.
- OT: Rich Flu
- Director: Galder Gaztelu-Urrutia
- Screenplay: Sam Steiner, David Desola, Galder Gaztelu-Urrutia, Pedro Rivero
- Year: 2024
- Distribution | Production © Leonine