Mit seiner Mehrdeutigkeit ist der Titel John Crowelys larmoyanten Liebesdramas nicht nur ein Verweis auf dessen inszenatorische Intention, über die romantisierte Rührseligkeit der Genre-Konventionen hinauszureichen. Er ist auch ein unfreiwilliger Marker ambivalenten Ambitionen des narzisstischen Narratives. Das knüpft sowohl seine Message als auch emotionale Effektivität untrennbar an die idealisierte Ikonographie der Figuren. Almut (Florence Pugh) und Tobias (Andrew Garfield) sind das perfekte Paar mit einer gemeinsamen Geschichte voller wortwörtlich wie für die Leinwand geschaffenen Momente.
Von ihrem Meet-Cute über den ersten Streit bis zur Geburt ihrer passend perfekten Tochter ist jedes Ereignis im Leben dieser einander so innig Liebenden die dramaturgisch designte Definition sentimentaler Schönheit. Dazu gehören auch die katalogreifen Kulissen, beider malerisches Landhaus und der Gourmet-Tempel (komplett mit römischen Statuen). Dort kreiert Sterne-Köchin Almut kulinarische Köstlichkeiten, die sie für den Bocuse D’Or qualifizieren. Verkompliziert wird die Entscheidung der Teilnahme durch ihre fatale Krebsdiagnose, die jeden verbleibenden Moment umso kostbarer macht.
Will die von Pugh als privat und professionell gleichermaßen tadelloser Kunst-Charakter verkörperte Heldin ihre letzten Wochen mit ihrer Familie verbringen oder mit einem finalen Triumph, für den sie als ehemalige Weltklasse-Eiskunstläuferin geschaffen scheint? Die Antwort ist nicht nur vorhersehbar, sondern irrelevant in einer Fake-Filmwelt, die an Tragik einen Maßstab materiellen Meritokratismus anlegt: Je beneidenswerter das Leben, desto bedauernswerter dessen frühzeitiger Verlust. Vor diesem Hintergrund wird das Carpe Diem nicht nur materiell, sondern moralisch zum Vorrecht derer, die es finanzieren können.
Die apostrophierte Aufforderung, im Augenblick zu leben und diesen zu genießen, dient John Crowleys elitärer Elegie zur rührseligen Rechtfertigung privilegierter Priorisierung. So engagiert die fähigen Hauptdarstellenden auch spielen, sie überwinden nie die sentimentale Synthetik des entrückten Szenarios. Dessen sanfter Humor, ästhetisierte Sinnlichkeit und schwelgerische Tragik sind im Endeffekt nur ebenso kalkulierbare wie kalkulierte Hochglanz-Heuchelei. Jene gibt dem flüchtigen Unterhaltungswert, den gediegene Optik, stimmiger Soundtrack und Florence Pughs sehenswertes Schauspiel schaffen, den unangenehmen Unterton materialistischer Manipulation.
- OT: We Live in Time
- Director: John Crowley
- Screenplay: Nick Payne
- Year: 2024
- Distribution | Production © StudioCanal