Schiller klassisches Theaterstück über den legendären Schweizer Nationalhelden als eine Mischung aus Historienspektakel und Superhelden-Saga auf die Leinwand zu bringen, mag kurios klingen. Doch für das Publikum der Sturm und Drang Zeit war das 1804 uraufgeführte Original wohl ein solches Action-Drama voll nervenaufreibender Spannung und poetischem Drama. Über 220 Jahre später wirkt die Mischung von Patriotismus und Pathos nicht nur reichlich angestaubt, sondern im Gegenwartskontext auch zwiespältig. So ist Nick Hamms Adaption des Materials mit seinem internationalen Cast auch bemüht, nationalistische Zwischentöne zu umgehen.
Das Geschehen folgt grob der Bühnenvorlage, der die geringfügig abgewandelten Dialoge entstammen. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts ist die Schweiz eine Provinz der Habsburger unter König Albert (Ben Kingsley), dessen Männer das Volk terrorisieren. Während die Schweizer Adeligen aus Opportunismus tatenlos bleiben, rebelliert die Bevölkerung. Der berühmte Armbrust-Schütze Wilhelm Tell (Claes Bang), verfolgt von den Schrecken seiner Jahre als Kreuzritter, will sich erst aus dem Konflikt raushalten. Als der sadistische Vogt Gessler (Connor Swindells) ihn zu einer grausamen Geschicklichkeitsprobe zwingt, entschließt sich Tell zum Freiheitskampf.
Mit pompösem Soundtrack und markigen Szenen setzt der Regisseur und Drehbuchautor auf maximalen Heroismus. Muskelbepackte Männer rezitieren die gestelzten Dialoge voll Inbrunst. Von Heimatliebe entflammte Maiden beschwören die Männer zum Kampf – und dürfen auf der Leinwand anders als im Original auch selbst zur Waffe greifen. Das Theater nicht gleich theatralisch ist, scheint Hamm augenscheinlich entgangen. Seine exaltierte Inszenierung droht beständig in Schwulst zu kippen. Die dramaturgischen Elemente, die differenzierend wirken sollen, wie die Rückblenden zu Tells Kriegserinnerungen, trumpfen stattdessen mit noch mehr Melodrama und Kampf-Scheppern auf.
Dass der Protagonist selbst für eine Besatzungsmacht kämpfte, relativiert zudem die aufgesetzte Kritik an kolonialer Unterdrückung. Einzig die fähigen Hauptdarstellungen bewahren die Handlung vor unfreiwilliger Komik. Bang und Golshifteh Farahani als Tells palästinische Frau Suna geben ihren Charakteren emotionale Tiefe. Swindells ist indes kaum mehr als ein Schurkenstereotyp und Kingsley strengt sich gerade genug für eine mechanische Routine-Performance an. Kulissen und Kostüme haben die austauschbare Künstlichkeit von Schultheater-Requisiten. Der holprige Schnitt und die protzigen Bilder können den Mangel an Dynamik und Spannung nicht verdecken.
Mit seinen melodramatischen Rezitativ-Dialogen, hölzernen Historienkolorit und namhaften Schauspielenden ist Nick Hamms opulentes Schiller-Spektakel der typische Spielfilm für den Schulunterricht. Statt den Stoff modern zu interpretieren oder zeitkritisch zu reflektieren, erschöpft sich sein überlanges Kinotheater in verstaubter Verklärung. Zwar sind die idyllischen Naturkulissen schön anzusehen, doch Atmosphäre entsteht ebenso wenig wie Dramatik. Die bekannte Apfelschuss-Episode, die der Spannungshöhepunkt sein sollte, gerät zur Randnotiz des überlangen und unnötig verschachtelten Plots. Das symbolische Potenzial des Titelhelden in einer Zeit sozialer und politischer Spaltung verkennt das schale Lehrbuch-Drama.
- OT: William Tell
- Director: Nick Hamm
- Year: 2024