Würde man ChatGPT einen Mix aus Harry Potter, X-Men, Twilight und Schule der magischen Tiere schreiben lassen, käme wohl etwas ähnliches heraus wie Sylvia Englerts Fantasy-Romane. Die seit 2016 unter dem Pseudonym Katja Brandis veröffentlichten Kinderbücher verbrachten Wochen auf der Spiegel-Bestenliste. Für Bücher-Begeisterte ein Warnsignal, für Filmproduzenten das Zeichen zu einer Kino-Adaption. Die ist passend zum epischen Ausmaß des mittlerweile zwölf Bände und mehrere Spin-off-Reihen umfassenden Franchise gleich angelegt als Trilogie, deren Auftakt schon beeindruckt.
Letztes sowohl mit Fremdscham-Faktor als auch einer ganzen Reihe Szenen, die nicht einfach nur WTF-Momente generieren, sondern die Frage, wie sie unbeanstandet in der finalen Fassung gelandet sind. Vielleicht mussten alle Beteiligten die Buchvorlage lesen und waren desensibilisiert für Szenen wie die, in der ein erwachsener Typ, der Lederhose und Jeansjacke auf nackter Haut trägt (woher weiß der kindliche Ich-Erzähler sowas?), den 13-jährigen Hauptcharakter von oben bis unten mustert und in sein Auto steigen lässt.
In der von Damian John Harper inszenierten Verfilmung kommt die Szene nicht vor. Dafür eine andere, in der Martina Gedecks Lissa Clearwater dem Protagonisten Jay alias Carag (Emile Cherif) sagt, er habe etwas Wildes, wie er sich bewege… so geschmeidig, wie ein Raubtier! Klingt, als wäre Lissa ein Cougar. Aber tatsächlich ist Carag der Puma, zeitweise jedenfalls, und Lissa nur die Leiterin der Clearwater High, auf die er fortan mit anderen Gestaltwandlern alias Woodwalkers geht.
Also noch eine Story der Sparte: Kinder und Jugendliche mit übermenschlichen Kräften gehen auf ein Internat, wo sie neben dem speziellen Schulalltag Abenteuer bestehen. Die Kids sind vereint im Kampf gegen einen Antagonisten, der die schwierige Beziehung mit den Menschen gewaltsam besiegeln will. Dass Elon-Musk-Mäzen Milling (Oliver Masucci) sich als der Bösewicht entpuppt, ist genauso vorhersehbar und aberwitzig überkonstruiert und kopiert wie Carags Freundschaft mit Rothörnchen Holly (Lilli Falk) und Bison Brandon (Johan von Ehrlich).
Dass die Gefühle und Konflikte der jungen Figuren noch weniger überzeugen als die an ein zweitklassiges PC-Spiel erinnernden Effekte liegt nicht nur am schwachen Schauspiel. Charakterentwicklung existiert nicht. Personen definiert ihr Äußeres und ihre aufgesagten Biografien. In vielen Fällen macht sich David Sandreuters Drehbuch nichtmal soviel Mühe und beschreibt einen Woodwalker einfach in einem der Erklär-Dialoge. Die liefern zudem Hintergrundinformationen und füllen Handlungslücken. Der Mangel visueller Darstellung liegt neben inszenatorischer Insuffizienz auch am eingeschränkten Budget.
Letztes zeigt sich am deutlichsten in den Tierbildern, die eigentlich die entscheidende Stärke des Fantasy-Familienfilms sein sollten. Stattdessen scheinen die Menschen völlig losgelöst von ihren animalischen Alter Egos, die in Gruppenszenen Fremdkörper bleiben. Ähnlich misslungen ist die aufgesetzte Öko-Botschaft, in der sich die Doppelmoral und selektive Selbstgerechtigkeit des generischen Narratives zeigt. Umweltzerstörung ist schlecht, aber vegane Ernährung lächerlich. Menschliche Jäger sind böse – außer sie sind Woodwalkers. Immerhin ein ethischer Eklektizismus wie geschaffen für Konsumkinder.
Wenn ein mittelalter Mann mit einem minderjährigen Jungen in den Wald geht, beide sich die Klamotten runtereißen während sie rufen, wie genial sich das anfühle, dann ist das …? Nur der neuste deutsche Kinderfilm, der mit Englisch klingenden Namen und einer dreist derivativen Story voll seichter Stereotypen und Klischee-Konflikte Coolness behauptet. Hölzerne Dialoge, Logiklücken und Anschlussfehler machen die wirre Handlung höchstens unfreiwillig komisch statt spannend. Die einzigen Fantasien in dem kruden Copycat-Kinderfilm sind dessen deplatzierte Doppeldeutigkeiten.
- OT: Woodwalkers
- Director: Damian John Harper
- Screenplay: David Sandreuter, Sylvia Englert
- Year: 2024
- Distribution | Production © StudioCanal