„Fangt einfach mit dem Cartoon an!“, hallt es kurz nach Vorstellungsbeginn im Kinosaal. Nicht vor der Leinwand, sondern darauf, wo Joe Johnstons cineastischer Cartoon längst begonnen hat. Realer Krieg interessiert das Film-im-Film-Publikum und Captain America nicht. Johnstons Comic-Adaption der gleichnamigen Marvel-Serie beginnt in der Gegenwart, wo eine Sondereinheit Captain Americas ingefrorenen Schild findet. Helden mögen sterben, Legenden sterben nie.
Nach dem Prolog führt eine epische Rückblende ins Jahr 1942. Da wünschst sich Steve Rogers (Chris Evans) nichts sehnlicher als dem Vaterland zu diene. Von der Kriegsreklame zeigt Uncle Sam direkt auf ihn und auf Erfinder Howard Stark (Dominic Cooper), doch der leistet schon seinen Beitrag als Militärtechnologe und zukünftiger Vater von Iron Man Tony Stark. Steven hingegen gilt als untauglich, aber das gäbe ihm nicht das Recht weniger zu tun als die anderen, verkündet er. Eine Liste physischer Leiden auf dem medizinischen Befund zu haben, heißt nicht, dass man sich drücken darf!
Sogar wer „nur ein Junge aus Brooklyn“ ist, kann ein Nationalheld werden – wie Joe Simons und Jack Kirbys 1941 pünktlich zum Kriegseintritt der USA erschaffene Titelheld, der im Stars-and-Stripes-Outfit Adolf persönlich aufs Bärtchen haut. Letztes darf Steve bald täglich dank Dr. Abraham Erskine (Stanley Tucci). Der macht ihn mittels eines Serums zum Prototyp einer „neuen Rasse von Superkriegern“. Klingt nach dem Wunschtraum aller Nazis, gegen die Captain für Colonel Phillps (Tommy Lee Jones) ins Feld zieht – vorerst nur in einer Propagandashow. Wobei eine solche im Grunde die komplette Inszenierung ist. Marvel-Meta.
Doch Steve ist zu größerem als zum Maskotchen berufen, fühlt die charmante Agentin Peggy Carter (Hayley Atwell). Der zu Wagner-Opern die Weltherrschaft planende Johann Schmidt alias Red Skull (Hugo Weaving) ist genau der finstere Nazi-Scherge, den The First Avenger braucht. Johnston versteckt seine militaristische Botschaft unmittelbar vor den Augen des Publikums, indem er sie vorgeblich parodiert. Augenscheinlichstes Beispiel ist der Titelheld. „Ich bin der Armee beigetreten“, erwidert er, als sein bester Freund ihn nicht wiedererkennt. Das Militär macht aus Schwächlingen echte Männer, vermitteln die Ausbildungsszenen, bei denen Steve vorführt, wie sich ein aufrechter Soldat zu verhalten habe.
Immer den Kameraden voran und mit dem eigenen Körper eine Handgranate abschirmen. Wichtiger als das eigene Leben ist die Einheit, der in der Filmwelt die coolsten Typen und heißesten Frauen angehören. Im Krieg würden Helden geboren, hieß es einst. Diese zweifelhafte Botschaft überschreibt das Action-Spektakel mit einer perfideren: Im Krieg werden Superhelden geboren. Als solcher verkörpert Steve das amerikanische Ideal des Kleinen Mannes, der sich wortwörtlich nach oben kämpft und den Superlativ des Herrenmenschen, der sich sein Widersacher Red Skull wähnt.
Dessen mehr amoralische als faschistoide Sentenzen spickt das Drehbuch mit liberalen Phrasen, die eine geeinte Zukunft ohne nationale Konflikte prophezeien und Steves Instrumentalisierung als Waffe und Propagandawerkzeug benennen: “Du trägst eine Flagge auf der Brust und kämpfst einen Nationalkampf“, sagt Red Skull, der die Parallelen zwischen Über-Held und Überschurke erkennt. Sie hätten die Menschheit hinter sich gelassen, verkündet Weavings diabolische Klaus-Kinski-Karikatur auf der Fluch, die Captain America als menschlichen Schwächebeweis deutet.
Amerikas Rächer hingegen fürchtet weder Tod noch Teufel, die der rote Totenkopfschädel seines Gegners symbolisiert. Den Heldentod normaler Soldaten übertrumpft er mit einer Kamikaze-Aktion, die den Rat seines Nazi-Gegners zum Umgang mit der eigenen Übermenschlichkeit umsetzt: „Nimm sie mit Stolz an!“ Dies tut die visuell und ideologisch in der Militärpropaganda der Vierziger hängen gebliebene Heldensaga. Das treffende Urteil darüber fällt bezeichnenderweise der Erzschurke: „Arroganz ist vielleicht kein speziell amerikanischer Charakterzug, aber ich muss zugeben, dass du sie besser als jeder andere betreibst.“
- OT: Captain America: The First Avenger
- Regie: Joe Johnston
- Drehbuch: Christopher Markus, Stephen McFeely, Joe Simon, Jack Kirby
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2011
- Laufzeit: 124 min.
- Cast: Chris Evans, Hugo Weaving, Tommy Lee Jones, Stanley Tucci, Hayley Atwell, Natalie Dormer, Dominic Cooper, Richard Armitage, Sebastian Stan, Samuel L. Jackson, Neal McDonough, Toby Jones, JJ Feild, Anatole Taubman, Christian Black
- Kinostart: 18.08.2011
- Beitragsbild © Paramount Pictures