Wie seine berühmteren Zeitgenossen darf nun auch Estlands geplagter Dichter Juhan Liiv in einem mittelmäßigen Mystery-Thriller vermeintlich übernatürliche Serienmorde aufklären. Jaak Kilmis reißerische Story hat indes kaum Verbindungen zur Biografie und historischen Person des estnischen Nationaldichters. Dessen filmisches Alter Ego (blass: Pääru Oja) flieht aus dem Irrenhaus in Tartu und kehrt in sein Heimatdorf zurück. Dort gerät er in eine mysteriöse Mordserie – genau wie der fiktionalisierte Edgar Allan Poe in The Pale Blue Eye und The Raven.
Erst werden ein alter Trinker, dann ein frommes junges Mädchen getötet – angeblich vom Teufel. Das jedenfalls fürchtet die abergläubische Ortsgemeinde, die das Geschehen auf eine lokale Legende zurückführt. Die maskierte Gestalt, die für den Leibhaftigen gehalten wird, erinnert allerdings eher an den Wendigo oder einem Typen im Halloween-Hexen-Kostüm. Ähnlich generisch und abstrus entwickeln sich die detektivischen Ermittlungen des Leinwand-Liiv. Der hat mehr von einem Proto-Sherlock-Holmes als dem realen Literaten. Jenen verfolgten durchaus Dämonen, allerdings psychopathologischer Art.
Kurioserweise ist der tatsächliche Lebenslauf Liivs, der an schizophrenen Episoden litt, origineller und interessanter als der Plot. Dessen Titel inspirierte augenscheinlich Juhan Liivs gleichnamige Novelle; diese allerdings hat einen gänzlich anderen Inhalt. Um die Verwirrung komplett zu machen, ist auch dieser Inhalt autobiografisch basiert: Ein begabter Protagonist vergeudet sein Talent in einer kunstfeindlichen Provinzgemeinde. Diese Vergeudung kreativen Potenzials wird zur unbeabsichtigten Parallele der verschenkten cineastischen Möglichkeiten. Selbst aus den malerischen Naturkulissen holt Kilmi kaum Atmosphäre.
Das gilt noch mehr für die wenigen Szenen, die tatsächlich historische Bezüge haben – etwa Liivs Aufenthalt in der Irrenanstalt. Der angeschlagene Schriftsteller fand während seines kurzen Lebens weder seitens seiner Verwandtschaft noch der Öffentlichkeit Anerkennung. Eine Bahnfahrt ohne Ticket wurde ihm zum Verhängnis. Der Schaffner schmiss ihn raus, Liiv vergaß seinen Mantel und zog sich in der Winterkälte eine fatale Lungenentzündung zu. Liivs wechselhaftes Leben ist voll solch kurioser dramatischer Szenarien, von denen Filmschaffende träumen. Nicht so Kilmi.
Erhabene Naturkulissen mit düsteren Wäldern und nebeligen Straßen liefert praktisch ein Instant-Schauer-Setting für einen Folk-Horrorfilm und Juhan Liivs Biographie reichlich schillernde Anekdoten. Doch Jaak Kilmi verwirft all dies zugunsten fader Genre-Tropen. Die unheilvolle Stimmung Liivs Gedichte, die der Protagonist ständig aufsagt, überträgt sich kaum auf die generische Inszenierung. Der mangelt es sowohl an Suspense als auch psychologischer Tiefe. Solide Kameraarbeit und kompetente Darstellenden schaffen ein handwerklich passables, doch ernüchternd derivativen Mix aus Mystery und Biopic.
- OT: Vari
- Director: Jaak Kilmi
- Screenplay: Indrek Hargla
- Year: 2024
- Distribution | Production © Taska Film