Die 6-jährige Heldin von Sean Bakers bittersüßen Vignetten einer fragilen Kindheit lebt in einem bonbonfarbenen Schloss, über dem die Wolken am sonnigen Himmel Appetit auf Zuckerwatte machen und der warme Sommerregen eine lustige Freiluftdusche ist. Aber Moonee (Brooklynn Prince) lebt nicht in Disneyland, dessen Silhouette am limonaden-orangenen Horizont wie ein unerfüllbares Versprechen wartet, sondern vor dessen Toren am äußersten sozialen Rand. Mit ihre arbeitslosen Mutter Halley (Bria Vinaite) teilt die abenteuerlustige Hauptfigur ein kleines Zimmer im Magic Castle Motel. Der märchenhaft anmutende Ort wird für Moonee und ihre gleichaltrigen Freunde Scooty (Christopher Rivera) und Jancey (Valeria Cotto) zur letzten Bastion gegen eine unaufhaltsam einbrechende Realität.
Die brutale Wirklichkeit ist am Bildrand stets greifbar, auch wenn die kleinen Protagonisten sie noch nicht erfassen. Zu Essen gibt es die Lebensmittelspenden, die regelmäßig ein Truck unter den mittellosen Motel-Gästen verteilt, Junk Food, das Scootys Mutter Ashley (Mela Murder) heimlich von ihrer Arbeit in einem Kettenrestaurant weitergibt, und Softeis, das die Kinder mit erbetteltem Geld bezahlen. Während selbst kaum erwachsene Halley zu kriminellen Wegen ausweicht, um die wöchentliche Miete aufzubringen, erfüllt der warmherzige Motel-Manager Bobby (Willem Dafoe) neben seinen Arbeitspflichten die Rolle eines beschützenden Ritters in verblichenen T-Shirts statt strahlender Rüstung. Moonees unbeschwerte Streiche markieren die letzten Momente eines naiven Traums vor dem Erwachen.
Die illusionäre Flüchtigkeit des improvisierten Glücks klingt sowohl im Namen der Heldin als auch dem des Motels und dem angrenzenden Hotel Futureland an. Aus Kinderaugen sind die pastelligen Bauwerke ein Spielplatz, aus Erwachsenensicht die bizarren Ruinen des Amerikanischen Traums. Wie in Tangerine vertraut Baker ganz auf seine ungewöhnlichen Charaktere, aus deren Perspektive sich die Handlung mit intuitiver Sicherheit entfaltet. Eine sprühende Farbpalette und Bilder, in denen Fröhliches und Trauriges zu surrealer Schönheit verschmelzen, erzählt keine Geschichte im eigentlichen Sinne. Sie führen unmittelbar in die anarchische Lebenswelt der kindlichen Figuren. Sie sind Könige und Königinnen ihres eigenen Traumschlosses, aus dem sie bald unwiederbringlich vertrieben werden.
- OT: The Florida Project
- Regie: Sean Baker
- Drehbuch: Sean Baker, Chris Bergoch
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2017
- Laufzeit: 111 min.
- Cast: Willem Dafoe, Brooklynn Prince, Valeria Cotto, Bria Vinaite, Christopher Rivera, Caleb Landry Jones, Macon Blair, Karren Karagulian, Sandy Kane
- Kinostart: 15.03.2018
- Beitragsbild © Prokino