Nicht zufällig ist Pascal Plantes hintersinnige Horror-Studie ein stilistisches Spiegelbild der pathologischen Protagonistin, deren fanatische Faszination für den des Mordes an drei jungen Mädchen angeklagten Ludovic Chevalier (Maxwell McCabe-Lokos) der subjektive Schlüssel zu einem anonymen Abgrund sensationalistischen Sadismus und perversen Personenkults. Deren weitreichende gesellschaftlichen Ursachen bleiben genauso im Dunkeln wie die Grenzlinie zwischen Wahn, Wirklichkeit und Wunschdenken. Visuelle und akustische Details untergraben schon vor Beginn der Inszenierung deren strenge Sachlichkeit.
Letzte steht in demonstrativem Kontrast zum amoralischen Voyeurismus, den der durch erdrückende Beweislast vorverurteilten Chevalier mit Snuff-Videos seiner Foltermorde bediente, bevor er im kugelsicheren Glaskasten vor Gericht zum grausigen Spektakel wirkt. Die verschlungenen Ebenen von Schaulust – kriminell, kommerziell, kollektiv und kreativ – sind eines der unterliegenden Kernmotive des metaphysischen Psychogramms, das Profi-Pokerin und Modell Kelly-Anne (Juliette Gariépy) auf der Online-Suche nach einem bisher unentdeckten Video Chevaliers, das im Dark Web kursiert.
Doch ihre Motive gehen tiefer als die naive Schwärmerei ihrer neuen Freundin Clementine (Laurie Babin), die Chevalier im realitätsfernen Glauben an seine Unschuld anhimmelt. Allegorische Anspielungen auf Motive des Camelot-Stoffs, deren morbide Romantik die kalten Kulissen aufbricht, nähern sich unwissentlich der Antwort darauf, warum einzelne Frauen Gewaltverbrechern verfallen: Es ist nicht Psychologie, sondern die internalisierte Misogynie. Doch davor schreckt der Regisseur und Drehbuchautor noch mehr zurück als den angeteaserten Online-Foren.
Die titelgebenden Dark Web Spaces mit authentischen Gewaltaufnahmen dienen Pascale Plantes ungewöhnlichem Psychothriller statt zu Schockeffekten als Sinnbilder: der monströsen Auswüchse einer menschenverachtenden Unterhaltungskultur und seelischen Dunkelkammern der auf massive Brutalität fixierten Protagonistinnen. Konzentriertes Schauspiel, stimmiges Sound-Design und ein brutalistisches Szenenbild erschaffen ein ästhetisch und atmosphärisch bestechendes Horror-Stück, das trotz seiner soziologischen Leerstellen nachwirkt. Im Fokus steht nicht das Grauen selbst, sondern dessen unendliches Echo in seelischen und sozialen Abgründen.
- OT: Les chambres rouges
- Director: Pascal Plante
- Screenplay: Pascal Plante
- Country: Canada
- Year: 2023
- Running Time: 118 min.
- Cast: Juliette Gariépy, Laurie Babin, Élisabeth Locas, Maxwell McCabe-Lokos, Natalie Tannous, Pierre Chagnon, Guy Thauvette, Charlotte Aubin, Sébastien Beaulac, Frédérick de Grandpré, Maxim Martin, Richard Turcotte, Stanley Hilaire, Rebecca Makonnen, Marie-Gabrielle Ménard
- Image © Nemesis Films