Ungeachtet der optisch übermäßig ausgeschlachteten Prämisse von lesbischem Nonnen-Sex beweist Paul Verhoeven beachtlichen Hintersinn in seinem frivolen Historienstück. Das formt die reale Biografie der titelgebenden Mystikerin und Äbtissin zu einem spöttischen Sittengemälde. Dessen Kritik an klerikaler Korruption und machiavellistischer Machtpolitik erstreckt sich jenseits des historischen Handlungszeitraums, den der Regisseur und Co-Drehbuchautor authentisch brutal abbildet. Das Kloster, in dem die ambitionierte Benedetta (Virginie Efira) in Kürze die Mutter Oberin (exzellent: Charlotte Rampling) entthront, ist gleichzeitig karges Gefängnis und einer der wenigen Freiräume, der im 17. Jahrhundert Frauen ein Minimum Selbstbestimmung erlaubt. Und Karriereoptionen, die als Hauptmotiv der manipulativen Heldin erscheinen.
Obwohl die in ironischer Theatralik, sadistischen Gewaltexzessen und voyeuristischen Sexszenen schwelgende Inszenierung Benedettas spirituelle Erlebnisse als geschickt improvisiertes Theater erkennt, bestehen nie Zweifel an der Aufrichtigkeit ihres Glaubens. Den interpretiert Verhoeven überzeugend als eine Chimäre aus sozialer Konditionierung, Selbstherrlichkeit und psychosexueller Kompensation. Erwartungsgemäß dominiert letzte Denken und Handeln der wohlhabenden Protagonistin. Sie riskiert eine Affäre mit der mittellosen Novizin Bartolomea (Daphne Patakia), deren unglaubwürdige Figur eine markante Schwachstelle der Handlung ist. Verhoevens Abwertung der Liaison zum (hetero)sexistischen Softporno kontrastiert seine aufgeklärte Darstellung der Kirche als Institutionalisierung von Gier, Heuchelei und Misogynie und unterminiert das subversive Potenzial der Hochglanz-(Un)Heiligenvita.
- OT: Benedetta
- Regie: Paul Verhoeven
- Drehbuch: Paul Verhoeven, David Birke, Judith C. Brown
- Produktionsland: France, Netherlands
- Jahr: 2018
- Laufzeit: 127 min.
- Cast: Virginie Efira, Charlotte Rampling, Daphne Patakia, Lambert Wilson, Olivier Rabourdin, Louise Chevillotte, Hervé Pierre, Clotilde Courau, David Clavel, Guilaine Londez, Gaëlle Jeantet, Justine Bachelet, Lauriane Riquet, Elena Plonka, Héloïse Bresc, Jonathan Couzinié
- Kinostart: 02.12.2021
- Beitragsbild © Koch films/ Capelight pictures