„Wer ist Paulo de Figueiredo?“, fragt Salome Lamas in ihrer dokumentarischen Reflektion über die Konstruktivität und Konstruierbarkeit von Wahrheiten. Die Antwort darauf gibt der Regisseurin ihr verlebter Gesprächspartner während er sie im selben Augenblick negiert. Der Solitär des Films ist Paulo de Figueiredo selbst, auf einem Stuhl in einer abseitigen Ruine im titelgebenden Neutralitätsgebiet zwischen Fremd- und Selbstbetrug.
„Man blickt nie zurück. Nur vorwärts“, sagt Paulo, doch sein detaillierter Lebensbericht vor Lamas beherrschter Kamera straft ihn Lügen. Sie lauern hinter den brutalen Episoden, die er aus einer Karriere als Söldner für Kolonialarmeen, portugiesischen Geldadel und die Untergrundorganisation GAL schöpft. „Blut und Schießpulver sind wie Kokain und Heroin. Sie steigen dir zu Kopfe“, erklärt Paulo. Opfer von staatlich oder privat organisierter Gewalt unterteilt er in „die, die unwert waren“ und „Menschen, die man noch Menschen nennen kann“. Als letzter von ihnen inszeniert ich Paulo, der mit bitterer Einsicht und sarkastischem Spott über die Staatsräson eines skrupellosen Systems benennt. „Da das Gesetz einem das Töten nicht erlaubt, übernimmt den Part jemand anderes.“ Er war dieser jemand laut seines Berichts, der neben zahlreichen Frage die nach dem eigenen Wahrheitsgehalt offen lässt.
Satt versprochener Beweise für seine Rolle in dem blutigen Geschichtskapitel hinterlässt der undurchsichtige Protagonist nur einen leeren Stuhl und einen Schein blendendes Tageslicht, als er von der maroden Bühne abgeht: zurück unter die Brücke, wo er mit Obdachlosen haust. Den Zweck seines Auftritts in der ungewissen Charakterskizze kann er nicht erklären. „Ich wollte die Geschichte meines Lebens erzählen.“ Das ist ihm auf bemerkenswerte Art gelungen.
- OT: Terra de Ninguém
- Regie: Salomé Lamas
- Drehbuch: Salomé Lamas
- Produktionsland: Portugal
- Jahr: 2012
- Laufzeit: 72 min.
- Cast: Paulo de Figueiredo
- Beitragsbild © Berlinale