Vielleicht ist es nur ein weiteres Zeichen mangelnder Originalität, dass der Titel John Woos routinierter Rache-Action so abgenutzt ist wie die Prämisse um einen Familienvater, der nach einer tödlichen Tragödie auf einen blutigen Feldzug gegen die Verantwortlichen zieht. Vielleicht ist es auch ein strategisches Signal an das Publikum, von Woos Rückkehr zum amerikanischen Filmmarkt keine Kreativität zu erwarten. Dass die Suspense sich in Grenzen hält, garantieren auch die Pappmaché-Protagonisten. Von denen ist der unsympathischste ausgerechnet der cholerische Hauptcharakter, dessen kleiner Sohn Kollateralschaden einer Bandenschießerei wird. Doch statt sein angeschossenes Kind ins Krankenhaus zu bringen, verfolgt Brian Godlock (Joel Kinnaman) die Täter.
Bei dieser ersten Konfrontation, bei welcher der Handwerker schon artistische Kräfte an den Weihnachtstag legt, verpasst ihm Big Baddie Playa (Harold Torres) einen Halsschuss. Der kostet Godlock Kehlkopf und Stimme, was dem Titel eine neckische Mehrdeutigkeit – Brian redet nicht mehr und will alle am Heiligabend zum Schweigen bringen – und dem Regisseur mehr Raum für kämpferische Kommunikation gibt. Anstelle der operatischen Action seiner besseren Werke liefert die filmische Fingerübung eine aggressive Alt-right-Arie, die den WASP-Wutbürger zum vigilantischen Verteidiger gesellschaftlicher Grundfesten stilisiert. Hispanische und afroamerikanische erscheinen als Drahtzieher oder Dulder alltäglicher Anarchie, auf die – vermeintlich – gerechte Gewalt die einzig adäquate Antwort erscheint.
Ideologisch betrachtet ist John Woos fanatische Vergeltungsphantasie ein kinematisches Weihnachtsgeschenk an ein radikal republikanisches US-Publikum, das davon träumt, zum Fest der Liebe all den – natürlich praktisch ausnahmslos kriminellen – Immigranten traditionelle Familienwerte mittels Kugelhagel beizubringen. Adrett verpackt in blinkende Kulissen und untermalt mit festlichen Klängen von Tony K, Reem und Doja Cat ist die stilistisch und schauspielerisch saubere Revanche-Revue im doppelten Sinne zeitgemäß: eine unfreiwillige Erinnerung an die brutale Bigotterie des gefeierten Christentums und ästhetisierter Ausdruck des neo-konservativen Zeitklimas. Das gimmick-hafte Schweigen wird unfreiwillig zum Sinnbild des Unwillens zum Dialog mit dem konstruierten Feindbild der generischen Kitsch-Ausgabe von Konservativismus und Kills.
- OT: Silent Night
- Director: John Woo
- Screenplay: Robert Archer Lynn
- Country: USA
- Year: 2023
- Running Time: 104 min.
- Cast: Joel Kinnaman, Catalina Sandino Moreno, Kid Cudi, Harold Torres, Vinny O’Brien, Yoko Hamamura, Anthony Giulietti, John Pollack
- Image © Leonine