Sie kratzen nichtmal an der Oberfläche, sagt FBI-Agentin Kate Macer (Emily Blunt) anfangs über ihren Kampf gegen die Drogenkartelle an der mexikanischen Grenze. Aber die anderen tun es. Die anderen sind in Dennis Villeneuves scharfkantigem Thriller der Regierungsbeauftragte Matt (Josh Brolin) und sein undurchsichtiger Kollege Alejandro (Benicio Del Toro). Kate meldet sich freiwillig zu deren Sondereinheit, denn sie will die Verantwortlichen für Dutzende Morde zu fassen kriegen. Die Motive ihrer neuen Vorgesetzten hingegen sind längst nicht so klar.
Villeneuve will auf erzählerischer Ebene das gleiche wie seine entschlossene Protagonistin. Der Enemy-Regisseur will den Drogenkrieg tiefer beleuchten als dessen grausige Konsequenzen: verstümmelte Mordopfer, die in der Hitze verwesen, oder die Gesichter zahlloser verschwundener Frauen auf Vermisstenanzeigen. Mit jedem blutigen Einsatz und Rechtsbeugung geraten Kate und ihr Kollege Reg (Daniel Kaluuya) tiefer in die verborgenen Strukturen, die Kameramann Roger Deakins in eindringliche Metaphern verpackt. Ein klaustrophobischer Tunnel führt Kate schließlich zur Antwort auf die Fragen, die sie Matt und Alejandro hartnäckig stellt. Was ist ihre Mission? Welche Funktion hat Alejandro? Zweites interessierte offensichtlich auch Drehbuchautor Taylor Sheridan mehr als Kates Rolle in der konspirativen Männerhierarchie. Auf zynische Weise wird Kate im dramaturgischen Gefüge ebenso ein Mittel zum Zweck, wie sie es für die skrupellosen Spezialagenten ist. Die von ihr verkörperte Rechtschaffenheit ist im alltäglichen Krieg gegen den übermächtigen Feind hinderlich und dient bloß dazu, das moralisch unentschuldbare Handeln der Einsatztruppe auf offizieller Ebene zu rechtfertigen.
Die Grenzen hätten sich verschoben, kommentiert Matt, als Kate sein unautorisiertes Vorgehen kritisiert. Die düster-realistische Handlung bezieht dies nicht nur auf die geografische Grenze zwischen USA und Mexiko, sondern die Grenze zwischen Recht und Kriminalität, Staat und Kartell, den Guten und Bösen. Die brillanten Bilder zeigen den von Angst und Gewalt zerfressenen Handlungsschauplatz Juarez in bedrückendem Zwielicht. Es scheint wie die Vorstufe einer ewigen Nacht, die über dem gesetzlichen und menschlichen Niemandsland hereinzubrechen droht. „Wolfsland“ nennt es Alejandro und sagt Kate, sie sei kein Wolf. Seine Worte sollen scheinbar auch vor dem Publikum begründen, warum Kate während des Finales praktisch aus der Handlung verschwindet. Nicht sie ist die Titelfigur des Sicario – eines von Rache und Befreiungsdrang geleiteten Auftragsmörders – sondern Alejandro. Und die Rache ist sein, in nahezu biblischem Sinne. Die entscheidende Niederlage Alejandros gereicht dem Plot schlussendlich zum Vorteil, da sie mit der pessimistischen Brutalität der Erzählung korrespondiert. Vergeltung bleibt sinnlos, da sie weder persönlichen Schmerz noch allgegenwärtige Gewalt mindert. Für Villeneuves Figuren gibt es keine Erlösung.
Zwar minder das Ungleichgewicht in der Inszenierung der Charaktere die filmische Eindruckskraft, aber zerstört sie nicht. In der letzten Szene unterbricht eine ferne Salve von Schüssen das Fußballspiel einiger Kinder. Die Jungen und ihre Mütter horchen auf, dann geht es weiter als sei nichts gewesen. Tod in seiner schrecklichsten, tragischsten Form ist fester Bestandteil des Lebens der Familien, die am Ende die Opfer des Drogenkriegs sind. Die beklemmende Inszenierung und das unheilvolle Score von Johann Johannsson vermitteln diese Vergeblichkeit und Hoffnungslosigkeit gleichermaßen packende und eindringlich.
- OT: Sicario
- Regie: Denis Villeneuve
- Drehbuch: Taylor Sheridan
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2015
- Laufzeit: 121 min.
- Cast: Emily Blunt, Benicio del Toro, Josh Brolin, Victor Garber, Jon Bernthal, Daniel Kaluuya, Jeffrey Donovan, Raoul Max Trujillo, Julio Cedillo, Hank Rogerson, Bernardo P. Saracino, Maximiliano Hernández, Kevin Wiggins, Edgar Arreola, Kim Larrichio, Jesus Nevarez-Castillo
- Kinostart: 01.10.2015
- Beitragsbild © StudioCanal