Klassischen Märchen der Gebrüder Grimm ein Horror-Makeover zu verpassen, hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem uneben, aber beständigen Subgenre entwickelt. Ein besonders effektiver Ansatz dafür ist die Revision einer altbekannten Geschichte aus der Perspektive einer Figur, der eine schurkische Rolle oder nur eine am Rande des Geschehens zukommt. Beides gilt für die geplagte Protagonistin Emilie Blichfeldts Spielfilm-Debüts. Elvira (Lea Myren) ist die unglückliche Titelfigur des bitterbösen Body Horrors über das Dasein im Schatten illusorischer Schönheitsstandards.
Mit hinter Zahnspangen versteckten schiefen Zähnen, Pummel-Figur und schiefer Nase ist die ältere Tochter der eleganten Rebekka (Agnieszka Zulewska) das unscheinbare Gegenstück ihrer verführerischen Stiefschwester Agnes (Thea Sofie Loch Næss). Beider eskalierende Konkurrenz verwirft das moralistische Gut-Böse-Schema zugunsten einer hinter allen Ekel-Effekten und Exzentrizitäten bedrückend realistischen Vision. Die alles andere als märchenhafte Gesellschaft, in der die Protagonistinnen ihrer materiellen Misere allein durch Heirat entkommen können, spielt Frauen gegeneinander aus und bewertet sie rein nach Äußerlichkeiten.
Kostüme und Kulissen sind ebenso historisch akkurat wie die folterartigen Schönheitskuren, derer sich Elvira unterzieht, um eine Chance auf den Prinzen zu haben. Nasenklammer, angenähte Wimpern oder Bandwurm – was einem Zuschauer einer Sundance Vorführung angeblich das Lunch hochkommen ließ, haben Frauen tatsächlich getan. Nicht weil sie, wie es die im vorschnell zum Vergleich herangezogenen The Substance zelebrierte Doppelmoral proklamiert, sie eitel und Oberschicht wären, sondern weil eine von Misogynie, Materialismus und Modellmaßen bestimmte Körperkultur ihnen keine Wahl lässt.
Dass gerade Elviras queer-kodierte Schwester Alma sich nicht nur diesen blutig-brutalen Methoden widersetzt, sondern Elvira davor zu warnen versucht, verweist auf die heteronormative Funktion der ebenso gehässig wie grauenerregend abgebildeten Körpermodifikationen. Jene werden zum verstörend plastischen Symbol der Zwänge und Objektivierung, der weiblich gelesener Körper. In dem als (anti)ästhetischer Kontrast zur verzuckerten Disney-Version angelegten Schauerszenario versinnbildlichen Verwesung und Verrotten den ethischen Verfall einer Gesellschaft, die Außenseiter dazu manipuliert, sich ins eigene Fleisch zu schneiden.
Eine kleine Insider-Information, erhalten von einer Person, die nach eigener Beschreibung „in the splatter zone“ der vermeintlichen Kotz-Attacke saß: Tatsächlich war chronische Übelkeit Grund des Vorfalls, den Shudder sogleich zu Werbezwecken vereinnahmte. Weit Übelkeit erregender als die fiesen Gore-Effekte der grandios ausgestatteten Inszenierung ist die darin gekonnt vorgeführte Mischung aus Sadismus, Sexismus und Schaulust. Geschliffenes Schauspiel und ein von Klassikern wie Drei Haselnüsse pro Aschenputtel und Cinderella inspirierte Setting machen das subversive Spielfilm-Debüt zum makaberen Meisterstück.
- OT: The Ugly Stepsister
- Director: Emilie Blichfeldt
- Screenplay: Emilie Blichfeldt
- Year: 2025
- Distribution | Production © Shudder