Die konstante Tendenz zu homophoben Klischees ist die bedrückende Gemeinsamkeit Manuel Puigs gleichnamigen Romans von 1976 mit dessen oscargekrönter Verfilmung 1985 durch Hector Babenco und dem 1993er Broadway Musical. Bill Condon scheint sich dieser bezeichnenden Schwäche überaus bewusst und fest entschlossen, sie nicht zu wiederholen. Somit entfernt ich seine Version Sehnsucht, Selbstbewusstsein und Stars weiter von der Romanvorlage als seine Vorgänger. Auf deren Schwächen, insbesondere in der Darstellung queerer Figuren, verweist die Meta-Ebene des revisionistischen Remakes.
Selbiges bekennt und betont sogar die bühnenhafte Künstlichkeit des kammerspielartigen Szenarios. Das spielt nun während der argentinischen Militärdiktatur und macht aus beiden Hauptcharakteren Oper eines inhumanen Regimes. Der junge Luis Molina (Tonatiuh) verbüßt seine achtjährige Haftstrafe nicht mehr wegen Verführung Minderjähriger, sondern Homosexualität. Sein neuer Zellennachbar Valentín (Diego Luna) ist Teil der Widerstandsbewegung, zu deren Niederschlagung Luis beitragen soll, indem er ihn aushorcht. Während Luis seinen Lieblingsfilm nacherzählt, wird aus Animosität Kameradschaft und schließlich mehr.
Die physische und romantische Dimension der Beziehung, die vorher bloße Akzeptanz war, behandelt Condon als eine Art Wiedergutmachung der Zensur queerer Sexualität in der Filmgeschichte. Jene wird lebendig durch das titelgebende Kinomusical. Der fiktive Hollywoodklassiker mit der (ebenfalls fiktiven) Ingrid Luna (Jennifer Lopez) markiert mit seinen unwirklichen Kulissen, schillernden Kostümen und opulenten Tanzeinlagen auf mehreren Ebenen eine Phantasiewelt. Die in Technicolor Film-im-Film-Szenen zeigen Luis‘ Vorstellung der Handlung, in der er und Valentín die Hauptrollen einnehmen.
Zugleich huldigen die schillernden Musical-Sequenzen dem klassischen Hollywood als Traumfabrik, deren Produktionen sich bewusst von der Wirklichkeit loslösten. In dieses Reich voller Songs, Glamour und Romantik flüchtet Luis mit Valentín vor dem brutalen Haftalltag. Selbiger entfaltet jedoch nie die verstörende Düsterkeit, die dem historischen Schrecken angemessen wäre, und die das Musical-Melodrama als Gegengewicht bräuchte. So ist die Handlungsrealität keine realistische Relativierung des Vintage-Kitsch, sondern dessen zeitgenössische Fortführung. Als solche konsolidiert die Inszenierung filmhistorische Gender-Steretypen, Queerphobie und Xenophobie als Teil moderner Camp-Kultur.
Am ehesten funktioniert Bill Condons nostalgische Neuauflage Manuel Puigs Romans als Bühne Tonatiuhs engagierten Porträts eines Gefangenen, der seine seelische Freiheit entgegen aller Widrigkeiten bewahrt. Das im doppelten Sinne theatralische Szenenbild und die artifiziellen Dialoge sind der Nachhall der zentralen Hommage an Hollywoods Goldene Ära. Die jene heraufbeschwörenden Ausschnitte fügen sich zu einer mitreißenderen Story als die Haupthandlung. Deren verklärter Blick sowohl auf das Schicksal der Charaktere als auch auf deren Beziehung ist mehr verlogen als phantasievoll.
- OT: Kiss of the Spider Woman
- Director: Bill Condon
- Screenplay: Bill Condon
- Year: 2025
- Distribution | Production © Artists Equity