Wenn es so etwas wie einen Regisseur der Stunde gibt, so schien das, für einen kurzen Moment zumindest Clint Bentley. Das von ihm verfasste Gefängnisdrama Sing Sing ist einer der Favoriten im Oscar-Rennen um den Preis als Bester Hauptdarsteller und Bestes adaptierte Drehbuch. Unterdessen präsentiert der Regisseur bereits auf Sundance sein neues Werk, dessen Drehbuch er erneut mit Greg Kwedar verfasste. Tonale Ähnlichkeiten der beiden Werke, die auf den ersten Blick grundverschieden scheinen, sind somit kein Zufall und ein faszinierender Randaspekt des Neo-Westerns.
Denis Johnsons gleichnamige Romanvorlage weckt mit ihren klassischen Themen von Aufbruch, Ambitionen und Illusionen sowie deren Konfrontation mit einer harschen Realität Assoziationen mit Theodore Dreiser, obzwar der karge Stil mehr Hemingway evoziert. Der auffällige Gegensatz zum Buch liegt jedoch in der epischen Aura des Dramas. Die Anfang des 20. Jahrhunderts angelegte Geschichte des Tagelöhners Robert Grainer (Joel Edgerton), dessen karge Existenz die Erinnerung an ein schreckliches Verbrechen überschattet, entfaltet sich in malerischen Bildern. Dieses Erhabene steht in bedrückendem Widerspruch zur brutalen gesellschaftlichen Gesinnung.
Jene zeigt sich in der rassistischen Gewalt gegen einen chinesischen Arbeiter, die in einem Mordanschlag mündet. Bentley und Kwedar verringern gegenüber der Original-Story Grainers Mitschuld, die hier vor allem darin liegt, nicht einzugreifen. Die Gedanken an das namenlose, stumme Opfer (Alfred Hsing) verfolgen ihn auf seinem Weg durch ein noch junges US-Amerika. Dessen Erschließung zieht eine unterschwellige Parallele zum Verlust von Idealismus und Reinheit innerhalb eines von Härte bestimmten Lebens. Menschliche Wärme verkörpert in der brutalen Welt Grainers Partnerin Gladys (Felicity Jones).
Die zärtlichen Momente mit ihr erscheinen wie das irdische Pendant einer spirituellen Erlösung, die der gebrochene Held anstrebt. Diese psychologische Entwicklung ist eine Überschneidung mit dem Colman Domingos Hauptcharakter in Sing Sing, aber mehr noch eine weitere der archaischen Tropen. Bentley ist zu gebannt von den verstaubten Idealen einer rauen Männlichkeit, weiblicher Reinheit und transzendierender Liebe, um sie kritisch zu reflektieren. Dieser Mangel an Hintergründigkeit enttäuscht umso mehr, da der dramaturgische Schwerpunkt nicht Handlung, sondern die Gedankenwelt und Gefühle des Protagonisten sind.
Elegische Atmosphäre, stimmungsvoller Soundtrack und ein exzellenter Cast machen den Mangel an Handlung in Clint Bentleys epochalen Historiendrama vergessen, solange Adolpho Velosos grandiose Kameraarbeit das Publikum gebannt hält. Anders die verstaubten Gender-Rollen und eine fadenscheinige Rassismus-Kritik, die suggeriert, die Gewissensbisse einer weißen Person seien relevanter als die direkte Betroffenheit eines asiatischen Menschen. Diese ambivalenten Zwischentöne und die mäandernde Struktur untergraben die visuelle Pracht der kontemplativen Saga über die Ausbeutung, Grausamkeit und Entbehrung, die in Sinnbilder des Fortschritts eingemeißelt sind.
- OT: Train Dreams
- Director: Clint Bentley
- Screenplay: Clint Bentley, Greg Kwedar, Denis Johnson
- Year: 2025
- Distribution | Production © Netflix