Der Name Elizabeth Bouvia steht synonym für den andauernden Kampf um das Recht auf Freitod. Zugleich ist er eine beklemmende Mahnung an das ethische Versagen eines Systems, das Moralismus und medizinische Profite über Würde und Wünsche des Individuums stellt. Im September 1983 forderte die 26-Jährige, die an Zerebralparese litt, die Einstellung der qualvollen künstlichen Ernährung, die sie am Leben erhielt. Der Prozess, der weltweit Aufsehen erregt und humanistische Debatten anstieß, wurde in mehreren Instanzen gegen sie entschieden.
Nach Jahrzehnten unvorstellbaren Leids verstarb Bouvia schließlich eines natürlichen Todes. Reid Davenport, selbst ein körperlicher Einschränkung betroffen, nimmt ihr Schicksal zum Ausgangspunkt einer kritischen Auseinandersetzung mit dem US-Gesundheitssystem. Jenes drängt, so die dokumentarische These, Menschen mit Handicap in den assistierten Suizid, indem es ihnen durch die Verweigerung vom Assistenz und Heimpflege ein würdevolles Leben verwehrt. Die Empörung des Regisseurs ist berechtigt, die individuellen Beispiele, die er in persönlichen Interviews vorstellt, bedrückend.
Die Verknüpfung dieser triftigen und absolut dringlichen Thematik mit Bouvias Fall ist jedoch hochproblematisch. Es mag vielleicht nicht Reids Absicht sein, doch seine Argumentation, Freitod-Gesuche entsprängen vorrangig sozialstruktureller und medizinischer Vernachlässigung, und nicht einem eigentlichen Sterbe-Wunsch, spielt Sterbehilfe-Gegnern in die Hände. Es liegt bedenklich nahe an dem irrigen Dogma, ein Freitod-Versuch sei ein „Hilferuf“ und niemand wolle wirklich sterben. Die Neueinordnung Bouvias Schicksals aus der Perspektive von Menschen mit Handicap ist essenziell und wegweisend.
Dennoch sollten andere entscheidende Faktoren in der Kombination von historischer Fallchronik und zeitgenössischen Einzelporträts nicht ausgeklammert werden sollen. Elizabeth Bouvias Fall betrifft ebenso allgemeine Menschenrechte, denn das Leben kann für jeden unerträglich werden. Es geht um Frauenrechte, denn historisch sind es überproportional Frauen, deren Körper durch Zwangsernährung kontrolliert, modifiziert und bedroht wurde. Es geht um das Grundrecht auf Protest, da Zwangsernährung inhärent keine medizinische Intervention ist, sondern eine ideologische Methode zum Brechen politischen Widerstands durch Hungerstreiks.
Der besondere Wert Reid Davenports konziser Dokumentation liegt im Sichtbarmachen eines kaum beachtete Problems von fatalen Auswirkungen: dass Menschen mit Behinderung Sterbehilfe suchen, weil das US-Gesundheitssystem ihnen ein menschenwürdiges Dasein verweigert. Die Wahl Elizabeth Bouvias als historischer Bezugsperson ist jedoch problematisch, da sie die Debatte um angemessene Versorgung und das Recht auf gesellschaftlicher Teilhabe au unvorteilhafte Weise mit der Grundfrage nach dem Recht auf den eigenen Tod verknüpft. Ein schwieriges Werk, nicht nur bezüglich dessen kritischer Einordnung.
- OT: Life After
- Director: Reid Davenport
- Screenplay: Reid Davenport
- Year: 2025
- Distribution | Production © Multitude Films