Das Szenario Carmen Emmis fesselnden Spielfilm-Debüts ist der neo-konservativen Gegenwart weit näher, als es oberflächlich scheint. OMCs 1996er Hit „How Bizarre“, der als Hintergrundmusik in einer Shopping Mall spielt, wirkt wie ein indirekter Kommentar auf das Geschehen, das grobkörnige Handkamera-Bilder einfangen. Lucas (ein grandioser Tom Blyth) sitzt allein im Food Court, ein sexy Snack, der nur darauf wartet, von jemandem ausgewählt zu werden. Der Jemand ist immer ein anderer der Männer, die in dem Einkaufszentrum cruisen.
Doch wenn die Fremden ihm zu der mit verstohlenen Blicken abgestimmten Begegnung in die öffentliche Toilette folgen, kommt es zur Verhaftung. Das Szenario ist eine Polizei-Falle; das „Verbrechen“ der Überführten ist ihre sexuelle Orientierung. Per se ist diese in der Handlungsära entkriminalisiert, doch eine Reihe Gesetze und polizeilicher Taktiken zielen darauf ab, sie zu bestrafen. Als Zivilpolizist spielt Lucas den Köder. Ein Job, der den verschlossenen Protagonisten schleichend zermürbt. Denn die titelgebende Tarnung trägt er auch im Privatleben.
Jenes prägen die gefühlte Abwesenheit seines todkranken Vaters und autoritäre Präsenz seines Onkels Paul (Gabe Fazio), der au Kosten von Lucas Mutter Marie (Maria Dizzia) lebt. Pauls aggressive Homophobie und demonstratives Macho-Auftreten kompensieren seine Minderwertigkeitsgefühle, weil er dem Bild des Familienversorgers nicht genügt. Die generationsübergreifenden Auswirkungen toxischer Männlichkeit und rigoroser Gender-Rollen sind ein tragender Aspekt des sorgsam ausgearbeiteten Charakterdramas. Der einzige, der sich davon befreit hat, ist Andrew, verkörpert mit Feingefühl und Ruhe von Russell Tovey.
Auch er sieht Lucas erstmal in der Mall. Doch der junge Undercover-Polizist lässt die Verhaftung vorgeblich aus Nachlässigkeit platzen, ohne dass Andrew etwas bemerkt. Beim zweiten Treffen, diesmal unter vier Augen, kommen beide einander auch persönlich näher. Andrew versteht Lucas‘ berechtigte Angst vor der Ablehnung seines Umfelds, denn als Familienvater kann er selbst nicht offen leben. Ihre Liebe gibt beiden Kraft für einen entscheidenden Schritt zur Selbstakzeptanz – auch wenn der Weg dorthin noch weit ist.
Das unscharfe, nervöse Kameraauge imitiert den zudringlichen Blick der versteckten Polizeikamera, die bei den Undercover-Einsätzen des Protagonisten filmt. Die perfiden Taktiken dienen nicht nur als bedrückende Erinnerung an systemischen Schikane gegen queere Menschen. Sie sind ebenso beunruhigende Warnung in einer sich alarmierend radikalisierenden Gegenwart. Getragen vom kongenialen Spiel seiner Hauptdarsteller folgt Carmen Emmi in seinem Erstlingswerk einer schwierigen Selbstbefreiung. Deren innere und äußere Kämpfe begleiten ein Beziehungsbild von seltener Intimität, zugleich zärtlich und traurig. Raue Optik tarnt ein filmisches Kleinod von seltenem Glanz.
- OT: Plainclothes
- Director: Carmen Emmi
- Screenplay: Carmen Emmi
- Year: 2025
- Distribution | Production © LORTON ENTERTAINMENT & PAGE1 ENTERTAINMENT