„Mädchen, die Jungen werden wollen sind gerade ein Bestseller“, verkündet Dr. Bini gegenüber einem jungen Menschen, der einen ähnlichen Wunsch artikuliert. Nicht die einzige Szene Gianluca Matarreses konturlosen Porträts, die dessen vordergründig toleranter Tendenz diametral entgegensteht. Die unvorteilhafte Aussage, die trotz ihrer Scherzhaftigkeit Transphobie und fortschrittsfeindlicher Paranoia in die Hände spielt, zeigt exemplarisch den Mangel einordnender Kommentare und Hintergrundinformationen. Statt solcher untermalt Fahrstuhlmusik den filmischen Besuch in einer endokrinologischen Sprechstunde.
Deren Seltenheitswert in Italien, wo das Mailänder Niguarda Hospital als eine weniger Kliniken In-vitro-Fertilization und Gender Affirming Care anbietet, erschließt sich ohne den Pressetext kaum. Ebenso wenig die politische Debatte, deren Kampfbegriffe den Vorspann begleiten. Das Sprechzimmer des warmherzigen Endokrinologen wirkt wie ein Safe Space, in dem Wohlbefinden und Wünsche der Patient*innen Vorrang haben. Das ist schön für die Dutzenden Behandelten, die dort in der Filmlaufzeit sitzen, relativiert jedoch die medizinische Unterversorgung.
Deren tragische Konsequenzen, das politische Programm und soziale Klima lassen sich bestenfalls erahnen. Diese eklatanten Leerstellen erstrecken sich auf psychologische Profil des Protagonisten, dessen Hilfesuchende nie direkt zu Wort kommen. Während der Regisseur und seine Co-Drehbuchautorin Donatella Della Ratta ein Patientengespräch nach dem anderen zeigen, gehen gerade die Individualität und Menschlichkeit, die im Mittelpunkt stehen sollten, verloren. Wie die unverkennbaren Doku-Vorbilder On the Adamant und Our Body, schaut die schemenhafte Skizze hin ohne zu sehen.
Wer sich ins Wartezimmer einer ähnlichen Klinik setzt, schnappt dabei wahrscheinlich mehr auf, als Gianluca Matarreses substanzarmes Berufsbild vermittelt. Die politische Kontroverse um die von dem progressiven Protagonisten angebotenen Behandlungen wird bestenfalls angedeutet. Interviews mit Betroffenen gibt es ebensowenig wie mit dem Ärzteteam. Weder erschließt sich die humanistische Notwendigkeit der Versorgung, noch deren soziale Brisanz und am wenigstens die zwischenmenschliche Sensibilität. Was hochspannend und relevant sein könnte, versackt in bedeutungsloser Langweile.
- OT: GEN_
- Director: Gianluca Matarrese
- Screenplay: Gianluca Matarrese, Donatella Della Ratta
- Year: 2025
- Distribution | Production © BELLOTA FILMS