“Töte das Licht.” Die Worte werden zu einem unheilvollen Schlüsselsatz in Alireza Khatamis messerscharfem Psychothriller, der die verborgene Dunkelheit in seinen Figuren ergründet. Die komplizierte Handlung auf knapp unter zwei angespannte Stunden kondensierende Story ist stilistisch ein markanter Schritt weg von seinen episodischen Gesellschaftsdramen. Deren selbsterforschende und symbolische Anklänge finden sich in subtilerer Form dennoch in dem doppelbödigen Familiendrama. Dessen elliptische Struktur betont das beklemmend Unausweichliche der Ereignisse, in denen verdrängte Gewalterfahrungen brutale Gestalt annehmen.
Zu Beginn der ausgefeilten Story steht ein beunruhigendes Erlebnis, das Sprachprofessor Ali Özdilek (Ekin Koç) von seiner Frau Hazar (Hazar Ergüçlü) erzählt wird. Die Szene steht exemplarisch für Khatamis Geschick darin, scheinbar alltäglichen Momenten eine Aura latenter Bedrohlichkeit zu verleihen. Zuerst fällt der Ausspruch von Alis gewalttätigem Vater Hamit (Ercan Kesal), bei dem Ali seine schwerkranke Mutter in Gefahr glaubt. Seine Sorgen um sie bestätigt ihr Tod, den verursacht zu haben er seinen Vater verdächtigt.
Die psychopathologische Komplexität des Geschehens offenbart sich allmählich mit dem unvermittelten Auftauchen des undurchsichtigen Fremden Reza (Erkan Koçak Köstendil). Er überredet Ali spontan, ihn als Gartenarbeiter anzustellen. Nicht zufällig tragen die beiden Charaktere, zwischen denen sich gespenstische Parallelen andeuten, jeweils einen Teil Khatamis Vornamens. Das in den Protagonisten präsente Motiv destruktiver Doppelung – oder Doppelgänger – unterstreichen eines Unterrichtsgesprächs Alis über die Etymologie des Wortes „übersetzen“. Darin steckt ein Begriff für „hinübertragen“ – und einer für „zerstören“.
Was ziemlich verkopft klingen mag, entwickelt sich zu einem ebenso packenden wie bedeutungsschweren Konzept: Jeder Mensch verhält sich in einem bestimmten Umfeld au eine bestimmte Weise. Jene verschiedenen Facetten können so radikal verschieden sein, dass sie wie unterschiedliche Personen wirken – oder es womöglich auch sind. Das sich langsam, aber stetig zuspitzende Geschehen bleibt äußerlich in der Realität verankert. Doch neben dieser etabliert die ausgefeilte Inszenierung eine zweite Interpretationsebene, auf der sich im Unterbewusstsein Abgründe auftun.
Die straffe Inszenierung und Ekin Koçs konzentriertes Schauspiel als trügerisch ruhiger Protagonist in einem Strudel verdrängter Aggression fügen sich zu einem geschliffenen Persönlichkeitskrimi. Vordergründig kreist dieser um verdrängte Traumata, die in einer Belastungssituation durchbrechen. Faszinierender sind indes die motivischen Bezüge zur klassischen Literatur und Symbolismus, die willkürlich anmutenden Momente einen Sinn gibt. Alireza Khatamis Händchen für Genrewerke zeigt sich in Szenen, deren Brutalität sich ohne Blutvergießen äußert. Eine passive Grausamkeit, die verstörender wirkt als Gore-Effekte.
- OT: The Things You Kill
- Director: Alireza Khatami
- Screenplay: Alireza Khatami
- Year: 2024
- Distribution | Production © Best Friend Forever