Tim Roths naturalistische Darstellung suizidaler Süffisanz besitzt einen morbiden Charme, der Michel Francos trägen Thriller unterhaltsamer macht, als es eine Elegie auf die ach so tragische Sterblichkeit des superreichen einen Prozents sein sollte. Doch kontemplative Momente, die das trügerisch sonnige Szenario an eine heterosexuelle Farce von Der Tod in Venedig erinnern lassen, untergräbt die unterschwellige reaktionäre Aggression des Regisseurs und Drehbuchautors. Seine pathetische Polemik überschattet die weit interessanteren psychologischen Nuancen einer schwelgerischen Chronik destruktiver Dekadenz.
Dass letzte das seelische Symptom eines durch medizinische und materielle Faktoren akut verschärften Bewusstseins der eigenen Sterblichkeit ist, offenbart sich deutlich früher, als die meditative Inszenierung beabsichtigt. Während des Luxusurlaubs mit Schwester Alice (Charlotte Gainsbourg) und ihren jugendlichen Kindern Alexa (Albertine Kotting McMillan) und Colin (Samuel Bottomley) wartet Neil nur auf eine Gelegenheit, sich abzusetzen. Die kommt mit einem familiären Todesfall, der Alice und ihn noch reicher macht. Doch Geld kümmert den undurchsichtigen Protagonisten nicht.
Dieses seine impulsive Egozentrik rechtfertigende Mantra wirkt absurd angesichts seines privilegierten Familienstatus, der ihn zum Opfer der heimtückischen Unterschicht macht. Die metaphorische Malaise jenes von Roth exzellent verkörperten weißen Elitemannes ist ein unersättliches dunkelhäutiges Prekariat, dass die Unternehmerschicht wie Schweine abschlachtet. Die in drastischen Allegorien und grotesken gesellschaftlichen Gleichnissen hervortretende Paranoia schafft eine bizarre metatextuelle Parallele zum sukzessiven Niedergang des Hauptcharakters: Während Neils Existenz zunehmend erodiert, weicht das unfertige Porträt existenzialistischer Apathie kruden reaktionären Ideologien.
In den raren Momenten, in denen sich Michel Francos ambivalente Analogie ganz auf ihren hervorragenden Hauptdarsteller einlässt, manifestiert sich zwischen reaktionären Stereotypen und sarkastischem Chauvinismus eine mokante Skizze lebensmüden und luxusüberdrüssigen Nihilismus. Eine subtilere Variation seiner rassistischen Tendenzen und eine von elitärem Selbstmitleid und Neo-liberaler Panikmache geprägte Agenda ruinieren neben der morbiden Atmosphäre auch die rudimentäre Story. Deren Mysterien sind ebenso leicht durchschaubar wie die kalkulierte Provokationen der zwiespältigen Melange aus Meritokratismus und Melancholie.
- OT: Sundown
- Director: Michel Franco
- Screenplay: Michel Franco
- Country: USA
- Year: 2022
- Running Time: 83 min.
- Cast: Samuel Bottomley, Monica del Carmen, Charlotte Gainsbourg, Henry Goodman, Iazua Larios, Albertine Kotting McMillan, Tim Roth, James Tarpey
- Release date: 09.06.2022
- Image © Ascot Elite Filmverleih