Ja, manche Eltern eben für ihre Kinder. Aber wohl kaum auf so exaltiert egomanische Art wie die Protagonistin Lisa Azuelos‘ Adaption Julien Sandrels den Originaltitel gebenden Romans. Darin ist der kindliche Koma-Patient Louis (Hugo Questel) noch Teilhaber einer sentimentalen Selbstfindung, die der Autor und Co-Drehbuchautoren-Duo Juliette Sales und Fabien Suarez auf der Leinwand rein um seine Mutter (Alexandra Lamy) konstruieren. Thelma findet unter Louis‘ Kopfkissen dessen Bucket List voll wohlstandsverwöhnter Lebensziele, die sie abzuarbeiten beginnt.
Noch befremdlicher als mit Walen zu tauchen, während ihr Sohn in Lebensgefahr schwebt, oder seiner Lehrerin an die Brüste zu fassen – was ihm alles erzählt und per Handy-Video vorgeführt wird – ist Thelmas Hoffnung, Louis möge dadurch erwachen. Vor Wut über die Aneignung seiner Wunschphantasien? Jene behandelt die Inszenierung mit privilegiertem Pragmatismus als reine Prestige-Pflichten. Es geht nicht um das Erlebnis, sondern darum, es vorzuweisen. Weder Thelmas magisches Denken noch ihr egozentrischer Eskapismus werden kritisch reflektiert.
Stattdessen verklärt und verkitscht die Regisseurin die exzessive Übergriffigkeit der alleinerziehenden Lagerarbeiterin, die ihr schier unerschöpfliches Budget und allgegenwärtiger Altruismus an ungeahnte Orte und schließlich das vorhersehbare Ziel führt. Die Erweckung ist folglich eine zweifache, genau wie der neurologisch abstrahierte Neubeginn. Ein komatöses Kind als Katalysator von Abenteuerlust und Aufbruch. Die unter der Zuckerkruste zutiefst zynische Mär wirkt durch das manierierte Schauspiel und die austauschbare Optik umso mehr kalkuliert und konformistisch wie die quasi-spirituelle Message.
Ein Blick auf Liza Azuelos‘ Filmographie zeigt eine Kette inszenatorischer Missgriffe, in die sich ihr jüngstes Werk nahtlos einfügt. Nach der Blaupause semi-phantastischer US-Tragikomödie bastelt die Regisseurin aus Julien Sandrels Buchvorlage eine eklektische Erbauungsstory, die das kontroverse Potenzial ihrer Motive – etwa die durch eine Tragödie neu entdeckte Lebenslust und Freiheit – mittels rührseliger Realitätsflucht erstickt. Eklatante Logiklücken lassen emotionale Glaubwürdigkeit so wenig aufkommen wie psychologische Authentizität. Das Zimmer der Wunder ist bloß ein kommerzielles kinematisches Kuriositätenkabinett.
- OT: La chambre des merveilles
- Director: Lisa Azuelos
- Screenplay: Juliette Sales, Fabien Suarez, Julien Sandrel
- Country: France
- Year: 2023
- Running Time: 99 min.
- Cast: Alexandra Lamy, Muriel Robin, Hugo Questel, Xavier Lacaille, Martine Schambacher, Hiroki Hasegawa, Ellie, Eyed Meguedmini, Karimouche, Eye Haïdara, Maria Fernanda Cândido, Marcel Gitard, Rafi Pitts, Clara Caneshe, Mackenson Bijou, Jonas Bachan
- Image © SquareOne Entertainment