Ein Kolibri sei ein Vogel, der sehr viel Energie darauf verwende, auf der Stelle zu bleiben, heißt es in Francesca Archibugis ausschweifender Adaption Sandro Veronesis gleichnamigen Romans. Dessen Hauptcharakter trägt den titelgebenden Spitznamen aufgrund einer kindlichen Wachstumsverzögerung, die sein Vater (Sergio Albelli) mit einer Hormonbehandlung behebt. Ein nicht nur in seiner Überkonstruktion exemplarisches Detail einer larmoyanten Lebenschronik, die trotz geschäftigen Geflatters dramaturgisch nicht vorankommt. Dabei mangelt es der generationenübergreifenden Handlung nicht an melodramatischen Ereignissen.
Diese überfrachten die ein halbes Jahrhundert umfassende und sich doppelt so lang anfühlende Story, deren anachronistische Erzählweise die Mischung trivialer Tragödien und elitärer Exzentrik nicht interessanter macht, sondern unnötig verkompliziert. Entsprechend schemenhaft bleiben in der zwischen zahlreichen Zeitebenen springenden Handlung die durch ihren Wohlstand gut gegen Schicksalsschläge gepolsterten Charaktere und deren Beziehungen. Selbst deren relevanteste, die unerfüllte Liebe des unscheinbaren Protagonisten Marco Carrera (Pierfrancesco Favino) zu Nachbartochter Luisa (Berenice Bejo), ist nur eine blasse Behauptung.
Selbige erklärt in einer plumpen Expositionsszene Nanni Moretti als paternalistischer Psychotherapeut Marcos Gattin Marina (Kasia Smutniak). Deren Schwanken zwischen hysterischer Heulerei und aggressiver Aufmerksamkeitssuche ist programmatisch für die Mischung aus sexistischer Stereotypisierung und ableistischer Stigmatisierung, mit der die Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Laura Paolucci nahezu alle Frauenfiguren zu psychopathologischen Karikaturen reduzieren. Die aus dem latenten Chauvinismus und der problematischen Darstellung von psychosozialer Divergenz sprechende Bigotterie ist neben dem beiläufigen Klassismus letztlich nur ein weiteres Symptom der Redundanz des künstlich aufgebauschten Elite-Epos.
Wenn sich im Anfangskapitel Francesca Archibugis verworrener Verfilmung Sandro Veronesis preisgekrönter Buchvorlage eine Panikattacke im Flugzeug als mystische Vorahnung entpuppt, scheint die kopflose Inszenierung gar einen Abstecher zu Final Destination zu machen. Doch leider ist die bizarre Detour nur ein weiterer toter Handlungsstrang der fiktiven Biografie eines uninteressanten Helden, so konfus strukturiert und unentschlossen, dass sie mehr einem Episodenstück ähnelt. Das solide Ensemble scheitert an den papierdünnen Figuren einer bei aller selbstgefälligen Sentimentalität substanzlosen Familiensaga.
- OT: Il colibrì
- Director: Francesca Archibugi
- Screenplay: Francesca Archibugi, Sandro Veronesi, Laura Paolucci
- Country: Italy, France
- Year: 2022
- Running Time: 126 min.
- Cast: Pierfrancesco Favino, Nanni Moretti, Kasia Smutniak, Bérénice Bejo, Laura Morante, Sergio Albelli, Fotinì Peluso, Alessandro Tedeschi, Benedetta Porcaroli, Massimo Ceccherini, Valéria Cavalli, Lorenzo Mellini, Niccolò Profeti, Elisa Fossati, Pietro Ragusa, Francesco Centorame
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