Für einen Unterhaltungsfilm, der sich ausdrücklich als Historie definiert und obendrein eine dezidiert feministische, legt Stephen Frears Leinwandversion der spektakulären Entdeckung der Überreste King Richard III. auffällig wenig Wert auf Faktizität und die Leistungen seiner Protagonistin (Sally Hawkins). Deren Auslassung im Titel steht nicht nur emblematisch für die akademische Marginalisierung ihrer maßgeblichen Rolle in der Ortung und Ausgrabung, sondern die dramaturgische Reduktion ihrer Figur. Die verdankt ihren Triumph vor allem der Unterstützung bedeutender Männer.
Dass eine Reihe von ihnen Richard heißen, ist eine der authentischen Kuriositäten, deren Witz in der Inszenierung niemals zündet. Zum Ausgleich wird es unfreiwillig komisch, wenn Philippa Langleys mit einem weiteren Richard (Harry Lloyd) spricht – dem Richard, der ihr im Kostüm eines BBC-Historienspiels und Aussehen eines Theaterschauspielers erscheint. Die ungelenken Szenen zeugen nicht nur von der Unfähigkeit des Autoren-Duos, Philippas Pläne und Zweifel eleganter zu vermitteln, sondern sind einer von mehreren Sprüngen in diskriminatorische Fettnäpfen.
Anders als bei den (männlichen) Akademikern, deren Forschungsergebnisse die Filmfigur lediglich zusammenträgt und kombiniert, muss ihre Motivation statt intellektueller Natur emotional sein. Ihre Halluzinationen scheinen verbunden mit ihrer chronischen ME, die zum definierenden Persönlichkeitsaspekt wird. Trotz Hawkins engagierter Darstellung bleibt von der Begründerin des schottischen Departments der Richardians – im Film ein bunt zusammengewürfelter Fanclub, dem Philippa nebenher beitritt – nur eine weinerliche, wehleidige Mehrfachmutter, der ihr Ex-Mann John (Steve Coogan) erzieherisch und finanziell den Rücken freihält.
Den maßgeblichen Einfluss weißer Mittelschicht-Privilegien übergeht die angepasste Inszenierung geflissentlich, während die Vernetzung akademistischer, kapitalistischer und chauvinistischer Hierarchien vom systemischen zum individuellen Problem bagatellisiert wird. Dabei bedient sich der Regisseur eben jener paternalistischen Herablassung, die er vorgeblich kritisiert, wenn er suggeriert, eine unpromovierte Frau sei bei Schulmädchen besser aufgehoben als in Akademiekreisen. Die Popularität der wahren Ereignisse gründet maßgeblich auf ihren charismatischen Heldenfiguren; Frears hat das anscheinend noch weniger verstanden als Shakespears Porträt des Titelcharakters.
Der sensationelle Fund der jahrhundertelang verschollenen Gebeine Richard III. liefert genug faszinierende Facetten mehrere Spielfilme. Leider hat Stephen Frears nicht mal einen überzeugend zustande gebracht. Sally Hawkins und eine Handvoll gut aufgelegter Nebendarsteller tragen die dahinplätschernde Handlung, die sich mehr für Laientheater und Familienalltag interessiert als Irr- und Umwege historischer Forschung und fachweltliche Vorurteile. Die filmischste und faszinierendste Facette der wahren Ereignisse, nämlich die Vertauschung von Fiktion und Fakt, wird wohl nicht zufällig dezent ignoriert.
- OT: The Lost King
- Director: Stephen Frears
- Screenplay: Steve Coogan, Jeff Pope, Philippa Langley
- Country: UK
- Year: 2022
- Running Time: 108 min.
- Cast: Sally Hawkins, Shonagh Price, Benny Young, Lewis Macleod, Jenny Douglas, Steve Coogan, Benjamin Scanlan, Adam Robb, Harry Lloyd, Robert Jack, Sarah MacGillivray, John Paul Hurley, James Rottger, Jessica Hardwick, Bruce Fummey, David Ireland
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