Eines zumindest erreicht Nia DaCostas kurioser Kino-Beitrag zum sich in immer unentwirrbare Neben-, Parallel- und Alternativhandlungen entspinnenden Marvel-Kosmos: Wer davor mit dem Begriff Superhero Fatigue nichts anfangen konnte, erhält durch den effekttechnisch, schauspielerisch und vor allem dramatisch an ein überlanges Serien-Special zu Ms. Marvel und Wanda Vision erinnernden Lückenfüller zwischen GOTG 3 und Deadpool 3 davon ein sehr klares Bild. Genau genommen 24 pro Sekunde, die meisten angefüllt mit sketchartigen Schauszenen und Slapstick-Kampfeinlagen. Jene integrieren die Regisseurin und ihre Co-Drehbuchautorinnen Megan McDonnell und Elissa Karasik bestenfalls mühsam in die fragmentarische Story, die im Grunde nicht mehr ist als ein ausgedehntes Marvel-Meet-Cute.
Die überirdischen Kräfte Kamala Khans aka Ms. Marvel (Iman Vellani), Monica Rambeau (Teyonah Parris) und Captain Marvel alias Carol Danvers (Brie Larson), zu der beide stark divergierende Gefühle haben, werden während des machivellistischen Raub- und Rachefeldzugs der Kree-Kriegerin Dar-Benn (Zawe Ashton als halbwegs interessante Antagonistin) verknüpft. Das führt zu allerhand Rumspringen, physisch, intergalaktisch und durch das Wohnzimmer der Khans, bis die Drei sich bei einer Art Superheldinnen-Pyjama-Party in Carols Raumschiff zum titelgebenden Trio zusammenschließen. Quasi nebenbei überwindet Monica ihre kindliche Trotzreaktion auf Carols Abwesenheit und Kamala ihr (mir reichlich Queerbaiting aufgepepptes) Schwärmen für ihre Namensvetterin und Nick Fury (Samuel L. Jackson).
Gegenüber diesen irrelevanten Issues ist das Bedrohungsszenario durch Dar-Benn so nebensächlich wie ihre Angriffe auf die geflüchteten Skrull oder dass Captain Marvel, die Dar-Benns Volk aus gutem Grund „The Annihilator“ nennt, in einer fehlgeleiteten Aktion Dar-Benns Heimatplaneten zerstört hat. Diese Kaltblütigkeit steht in bizarrem Kontrast zu den kindergartengerechten Kampfszenen ohne jeden Kratzer, geschweige denn Blut, und der kindischen Komik. Letzte ist ähnlich Kamalas ungläubiger Begeisterung angesichts ihrer Superhelden-Idole nicht amüsant, sondern anstrengend. Die verfehlte Tonalität kulminiert in einem Musical-Intermezzo auf Aladna, dessen Bewohnende mittels Gesang kommunizieren und einem Wurf Kätzchen wie Carols Alien-Haustier Goose, die Furys Crew in ihren Eingeweiden evakuieren.
Immer wenn man glaubt, die provisorische Handlung könne nicht alberner und abstruser werden, beweist das verworrene Leinwanddebüt der Serien-Favoritin Ms. Marvel das Gegenteil. Eine Spannungskurve oder dramatische Fallhöhe existieren selbst dann nicht, wenn Figuren aus schwindelerregender Höhe stürzen. Von Selbstironie stolpert Nia DaCostas Superheldinnen-Abenteuer in Selbstkarikatur mit Tendenz zur Selbstsabotage. Dass der Fokus auf weibliche Figuren mit einer Infantilisierung nicht nur der Protagonistinnen, sondern der gesamten Inszenierung einhergeht, macht das actionarme Abenteuer so ambivalent wie der unterschwellige Zynismus. Was womöglich als Fanservice gedacht war, wirkt auf der Leinwand wie aus verschiedensten Quellen zusammengestoppelte Fan Fiction. Angesicht des Streiks kein unmögliches Szenario.
- OT: The Marvels
- Director: Nia DaCosta
- Screenplay: Nia DaCosta, Megan McDonnell, Elissa Karasik
- Country: USA
- Year: 2023
- Running Time: 106 min.
- Cast: Brie Larson, Teyonah Parris, Iman Vellani, Samuel L. Jackson, Zawe Ashton, Gary Lewis, Park Seo-jun, Zenobia Shroff, Mohan Kapoor, Saagar Shaikh, Leila Farzad, Abraham Popoola, Daniel Ings, Alex Hughes, Shardiah Ssagala, Cecily Cleeve, Tessa Thompson
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