Heterochromie ist das spezielle Merkmal, dass Altenpflegerin Miss Wilson (Catherine Jacob) an ihrer jungen Praktikantin Lucie (Chloé Coulloud) fasziniert. Wie so oft im Thriller und Horrorfilm, die Julien Maurys und Alexandre Bustillos vermischen, ist eine physische Abweichung Zeichen psychischer Normabweichung, ganz im Geiste der Gothic Reißer, denen die Kulisse des dissonanten Schauermenuetts entlehnt scheint.
Ein gar schauerliches Anwesen in einem nasskalten Küstenort ist Bühne der blutigen Groteske, deren Protagonistinnen auf eine wenig überraschende Konfrontation zutänzeln. In die Gegenwartshandlung verstrickte Flashbacks erzählen die allegorische Tragödie Annas (Chloé Marcq), die sich schrittweise als dominantes Thema etabliert. Szenerie und Inszenierung verweisen geschlossen auf Dualität als zentrales Motiv, das sich wie einander gegenübergestellte Spiegel unendlich dupliziert. So hübsch dies in Ausstattung, Kostümen und altmodischen Grusel-Accessoires anzusehen ist, so offenkundig ist der abgenutzt Twist der bipolaren Persönlichkeit. Verschlissenheit macht zwar die Umgebung ästhetisch interessanter, jedoch nicht den Plot.
Der entstaubt dazu die Figur der dämonischen Übermutter(figur), natürlich doppelt. Lucies tote Mutter spukt ihr durch den Kopf, während die Ex-Ballerina und Ex-Ballettlehrerin Mrs. Jessel (Marie-Claude Pietragalla) durch den ihrer Ex-Schülerin Miss Wilson geistert. Die von jeher mörderisch veranlagte Mrs. Jessel ist nicht nur eine psychische Vampirin, sondern dürstet nach frischem Jungfernblut. Ihr grausamer Perfektionismus schafft eine Tochter, deren Puppengesicht ein makaberes Geheimnis birgt. Und das ist nicht der Schatz, den Lucie, ihr Freund William (Félix Moati) und dessen Bruder Ben (Jérémy Kapone) in der abgelegenen Villa zu heben erhoffen. Welche Nacht könnte für einen Teenie-Besuch im Gruselhaus besser geeignet sein als Halloween?
Das Zimmerlabyrinth wird für das Trio zum Horrorkabinett, wo Treppenknarren, Echos und angeknackste Spieluhren Jump Scares generieren. Psycho-Phantasmagorie und märchenhafter Symbolismus sind in dem zweiten Filmversuch des Regie-Duos nur possierliche Randerscheinungen in dem morschen Panoptikum, das weniger der effektiven Präsentation von Story, Suspense und Schrecken dient als der Selbstdarstellung. Also Applaus dafür, dass die Regisseure E. T. A. Hoffmann und Henry James gelesen haben. Nur nicht für deren stolpernde Schauersonate.
- OT: Livide
- Regie: Alexandre Bustillo, Julien Maury
- Drehbuch: Alexandre Bustillo, Julien Maury
- Produktionsland: Frankreich
- Jahr: 2011
- Laufzeit: 92 min.
- Cast: Chloé Coulloud, Jérémy Kapone, Félix Moati, Catherine Jacob, Marie-Claude Pietragalla, Chloé Marcq, Loïc Berthezene, Béatrice Dalle, Rajan Maman
- Beitragsbild © Sunfilm Entertainment