„Dieses Gefühl, dass du als Kind hast, diese Schwerelosigkeit, verschwindet für immer.“ Diese schlichte Wahrheit lernen auch die Figuren von Mark Noonans sensiblem Langfilmdebüt. Die tragikomische Coming-of-Age-Story siedelt der Regisseur und Drehbuchautor in den Midlands seiner irischen Heimat an. Dorthin verschlägt es die junge Stacey (Lauren Kinsella) nach dem Tod ihrer Mutter, zu ihrem Onkel Will (Aiden Gillen), den sie kaum kennt. Wie wenig, muss die nach außen hin toughe 12-Jährige erst herausfinden.
In emotionalen Stresssituationen driftet die schroffe Heldin in Schlaf. Die Narkolepsie wirkt wie ein unterbewusster Abschottungsversuch gegen das neue Leben, dass ihr so fremd ist wie Will (Aiden Gillen). Der hat eigenen Motive dafür, dass er nieim Leben seiner Nichte auftaucht und sie jetzt plötzlich in sein improvisiertes Zuhause im Wohnwagenpark aufnimmt. Verständlich, dass Stacey skeptisch ist, zumal sie weis, dass Will die letzten Jahre im Gefängnis saß. Seine vorzeitige Entlassung dauert an, solange er ihr Fürsorger ist. Wenn die Behörden entscheiden, dass die Sache nicht akkurat läuft, heißt es zurück in den Knast für Will und zu einer Pflegefamilie für Stacey. Warum er drin war, weiß sie nicht. Auf die Antwort darauf steuert der Plot in ruhigen Schritten zu. Doch das melancholische (Ersatz)Familienbild handelt nicht von Vergeben, sondern Verstehen. Weder verbirgt sich hinter Wills bisheriger Abwesenheit in Staceys Familienleben Desinteresse, noch ist seine jetzige Fürsorge bloßer Opportunismus.
In matten Farben erzählt Noonan die zaghafte Annäherung der Außenseiter. Beide haben viel verloren, beider Verlust spiegelt sich in dem des anderen. Das begreift Stacey schließlich, obwohl sie sich gegen alle Gemeinsamkeiten mi ihrem Onkel sträubt. Zu tief sitzt das angedeutete Trauma. Soviel aber ist unmissverständlich, der Familienhintergrund der kantigen Hauptfiguren war schon zuvor alles andere als vollkommen. Von Staceys Mutter sieht man nicht mehr als ein altes Foto, dass Stacey in Wills Tasche findet. Mehr ist auch nicht nötig, denn Wills Schwester scheint indirekt präsent im Verhalten der Protagonistin. Die enge Beziehung, die sich nicht trotz, sondern gerade wegen Staceys ironischer Unverblümtheit und Wills eigenwilligen Scherzen entwickelt, gleicht weniger der von Vater und Tochter als von Geschwistern. Wie bei solchen üblich, nervt und ärgert man sich lieber statt äußerliche Nettigkeiten auszutauschen.
Die amüsanteste der Gemeinsamkeiten, die für den Zuschauer viel eher als für die Figuren zu erkennen sind, ist der kuriose Humor. Als Stacey gerade bei ihm angekommen ist, beginnt Will einen Witz zu erzählen, auf dessen Ausgang man bis zum Ende warten muss. Das Ausharren bis dahin ist mehr als lohnend, nicht nur wegen der Pointe.
- OT: You’re Ugly Too
- Regie: Mark Noonan
- Drehbuch: Mark Noonan
- Produktionsland: Irland
- Jahr: 2015
- Laufzeit: 81 min.
- Cast: Aidan Gillen, George Pistereanu, Lauren Kinsella, Jesse Morris, Erika Sainte
- Kinostart: 19.11.2015
- Beitragsbild © Pandora Filmverleih