Echt jetzt, ein Löwe? Den als wandelnde Verkörperung des Hauptpreises von Venedigs Filmfestspielen in einem Wettbewerbsfilm herumspringen zu lassen, wäre schon peinlich genug. Aber Saverio Costanzo setzt in seinem historizistischen Hommage an – was sonst? – das vermeintlich Goldene Zeitalter des italienischen Kinos noch einen drauf. Das Löwentier ist eine Löwin. Als ihr die schüchterne Mimosa (Rebecca Antonaci) zu Beginn der elliptischen Story erstmals begegnet, stecken beide, die Löwin sowie die scheinbar häusliche Heldin, in einem Käfig.
Wenn das Festival-Publikum Beiden das letzte Mal begegnet, sind sie wie erwartet frei und ungezähmt. Weibliche Wildheit lässt sich nämlich nicht domestizieren, verkündet das eklektische Epos mit pseudo-feministischem Pathos. Dass dahinter in jeder der opulenten Szenen das kommerzielle Kalkül durchscheint, liegt nicht nur am dezidiert männlichen Blick auf die Frauenfiguren, die allesamt chauvinistische Stereotypen verkörpern: die matronenhafte Mamma, die schönere (aber in Moral und Talent unterlegene) große Schwester, die neurotische Diva Josephine Esperanto (Lily James).
Letzte entdeckt Mimosa, die sich im Gegensatz zu ihrer Schwester nicht beim Casting entblößen will. Für ihren Tugendtriumph belohnt sie die moralinsauere Mär mit der Chance auf Reichtum und Ruhm. Beides kommt mit konservativen Klischees von Dekadenz und promiskuitiver Perversion, die mit typischer Doppelmoral in einem Zug voyeuristisch vorgeführt und verurteilt werden. Dass Mimosa widersteht, macht die Löwin auch zu einer implizit christlichen Metapher, die perfekt zur Verklärung einer Ära von Ausbeutung und Machtmissbrauch passt.
Nach Damien Chazelle, Steven Spielberg und zuletzt in Cannes Nanni Moretti liefert nun Saverino Costanzo seine filmische Verbeugung vor einer Kinoepoche, deren Ikonisierung als Goldenes Zeitalter mit der Legitimation deren missbräuchlichen Systems einhergeht. Die überlange Inszenierung zementiert beflissen eben jene Legende, die sie vorgeblich hinterfragt. Das pompöse Schauspiel und die in cineastischen Referenzen schwelgenden Szenarien beschwören nicht vergangenen Grandiosität herauf, sondern die sensationalistische Selbstherrlichkeit und verstaubte Verblendung, die in der brutalistischen Ortsarchitektur unverändert allgegenwärtig sind.
- OT: Finalmente l‘alba
- Director: Saverio Costanzo
- Screenplay: Saverio Costanzo
- Country: Italy
- Year: 2023
- Running Time: 140 min.
- Cast: Lily James, Willem Dafoe, Rachel Sennott, Joe Keery, Alba Rohrwacher, Anna Manuelli, Marco Gambino, Paul Boche, Benjamin Stender, Alexia Murray, Eric Alexander, Andrea Ottavi, Gabriele Falsetta, Fabiola Morabito, Rebecca Antonaci, Enzo Casertano
- Image © Wildside