Der demonstrative Applaus, der schon beim Erscheinen des Namens des 87-jährigen Regisseurs im Vorspann der Presse-Vorführung durch den Kinosaal rauscht, zeigt unmissverständlich, dass jegliche Bias am Premiere-Ort Venedig eine Fürsprechende ist. Dass die blasierte Boulevard-Krimikomödie nun doch ihre große Festival-Premiere bekommt, nachdem selbst das ultrakonservative Cannes sich im Frühjahr verweigerte, bestätigt die gesinnungsgeografische Einordnung des Lidos durch Demonstrierende: “island of rapists”. Und der Film, der ähnlich wie jener des ähnlich widerwärtig präsenten Polanski Elitekritik vorgaukelt?
Ist das triviale Moralstück, dass die snobbistischen Sprößlinge der großbürgerlichen Akademiker wie die mit dem dubiosen, aber schwerreichen Banker Jean (Melville Poupaud) verheirateten Fanny (Lou de Laâge) und ihr ehemaliger Kommilitone Alain (Niels Schneider), als bescheidene Boheme darstellt, tatsächlich – so manche Kritiker – Allens “bester seit zehn Jahren”? Es ist jedenfalls nicht sein schlechtester. Aber Wonder Wheel und Café Society zu unterbieten ist selbst für einen so seicht-süffisanten Spießer-Satiriker wie Allen nicht leicht.
Die Story bemüht die üblichen Versatzstücke Allen’schen Amüsements. Ein Milieu weißer distinguierter straighter cis Intellektueller, unter denen sich tatsächlich BIPOC Statisten finden. Aber keine Angst, das ist ein Film von Weißen für Weiße über Weiße. Die geraten in eine mörderische Ménage-à-trois, als Fanny dank Alain für sich Klischees wie Maronen im herbstlichen Park essen oder in Buchläden schmökern wiederentdeckt. Gezierte Konversationen und ein überkonstruierter Plot machen die dröge Farce zum cineastischen Gegenteil des nominalen Glücksfalls.
Natürlich lässt sich jede Kritik an Woody Allens jüngstem Schaustück beliebiger Bourgeoisie-Belustigung als vorgefasste Meinung abzutun. Doch vom pittoresken Pariser Schauplatz über die eindimensionalen Repertoire-Figuren bis zu den preziösen Pointen und dem austauschbaren Score ist die affektierte Krimikomödie ein phantasieloses Potpourri aus altersschwachen Versatzstücken seines Werks. Dass dieses redundante Relikt eines den eigenen Rassismus, Klassismus, Chauvinismus und Intellektualismus wiederkäuenden Konventionskinos in Venedig bejubelt wird, ist eine weit vielsagendere Kulturkomödie als die auf der Leinwand.
- OT: Coup de Chance
- Director: Woody Allen
- Screenplay: Woody Allen
- Country: France, UK
- Year: 2022
- Running Time: 93 min.
- Cast: Lou de Laâge, Valérie Lemercier, Melvil Poupaud, Niels Schneider, Grégory Gadebois, Guillaume de Tonquédec, Elsa Zylberstein, Anne Loiret, Sara Martins, Arnaud Viard, William Nadylam, Yannick Choirat, Jeanne Bournaud, Philippe Uchan, Sâm Mirhosseini, Emilie Incerti-Formentini
- Image © West End Films Limited