Das Titelwort Luca Guadagninos artifizieller Adaption William S. Burroughs gleichnamigen Kult-Romans wird von den Figuren so oft verwendet, als seien ihre Dialoge für die Google-Suche danach optimiert. „Queer“, das zur Handlungszeit Mitte der 40er Jahre, zur Zeit der Verfassung der literarischen Vorlage Anfang der 50er und selbst als diese 1985 schließlich einen Verleger eine ganz andere Konnotation und Implikation hatte als heute, wird zu einer Art metatextuellem Mantra in den kunsthandwerklichen Kulissen der mexikanischen Hauptstadt.
Als wollte der Regisseur sich und via der Darstellenden dem Publikum ständig versichern, dass der Film tatsächlich genau das sei: eine Adaption von Queer und außerdem durch und durch queer in Stilistik, Sprache, (Stereo)Typologie und Sexualität. Letzte war schon vor der Premiere auf den Filmfestspielen von Venedig kalkulierter Konversationsstoff. Dabei sind die intimen Begegnungen des Exilamerikaners William Lee (Daniel Craig) keineswegs so gewagt (queer), wie die US-Presse suggeriert. Nur ist Craig es eben nicht.
Als straighter Darsteller nicht-heteronormative Sexszenen zu spielen hat immer noch den Nimbus einen Wagnis, persönlich und professionell. Das Bewusstsein dafür transzendiert jede der Szenen, die so offensichtlich gestellt sind, dass es wie eine Rückversicherung und konservative Konzession wirkt. Weder die flüchtigen Treffen des fiktiven Alter Ego Burroughs, dessen Biografie Drehbuchautor Justin Kuritzkes in die Romanhandlung einfließen lässt, wirken glaubhaft, noch sein auf den US-Studenten Eugene Allerton (Drew Starkey) fixiertes Begehren. Und Begehren ist die Handlung.
Sei es Verlangen nach transzendentaler Vereinigung, Gier nach dem ultimativen Rausch durch das sagenumwobenen Yage oder Lees konfuse Gefühle für Eugene. Ohne die sinnlichen und spirituellen Spleens ist Craigs Protagonist nur ein elitärer Flaneur eines synthetischen Schauplatzes. Stattdessen Exotisieren und Erotisieren kritisch zu reflektieren, zelebriert die Kamera die prätentiöse Perspektive von Kolonialismus und Chauvinismus. Letzter ist am deutlichsten im Victim Blaming Joan Burroughs‘ für ihre Tötung, die nicht mehr ihre Tragödie ist, sondern die Lees.
Sucht und Sehnsucht, Schmerz und Sex bleiben in Luca Guadagninos stilisiertem Schaustück so artifiziell wie die Cinecittà Kulissen. Gleich der durch das spekulative Szenario streunenden Doppelgänger Burroughs leicht identifizierbarer Beat-Brüder wie Alan Ginsbergs sind Emotionen und Situationen überdeutlich als das zu erkennen, was sie sein sollen, und dennoch gänzlich unglaubhaft. Chaos, Wahn, Traum, Brutalität und Degeneration, die der Roman beschwört, sind die Antithese dieser kinematischen, aber niemals cineastischen Kosmos kommerzieller Künstlichkeit. Queer war nie straighter.
- OT: Queer
- Director: Luca Guadagnino
- Screenplay: Justin Kuritzkes
- Year: 2024
- Distribution | Production © Fremantle