Im Schatten des Vesuvs errichtet Gianfranco Rosi eine historizistische Hagiographie im dokumentarischen Gewand einer städtischen Symphonie. Drei Jahre lang beobachtete er das Leben um den weiterhin aktiven Vulkan, der 79 n. Chr., Pompeji unter Lava begrub und gleich eines geologischen Damoklesschwerts über dem symbolüberfrachteten Schauplatz hängt. Stilisierte Schwarz-Weiß-Schaubilder von Alltagsfragmenten rund um Neapel fügen sich zu einer kinematischen Landkarte voll topografischer Theatralik. Gleich eines steinernen Monuments des Untergangs eröffnen elegische Aufnahmen Pompejis erhabener Ruinen das prätentiöse Panorama.
Das entfaltet sich als ein kalkuliert kompilierter Katalog für bildungsbürgerliche Touristen, die mehr an Arthouse-Attitüde interessiert sind als soziologischen Einblicken. Die von Grabräubern geplünderten Katakomben weichen Luftaufnahmen des Golfs von Neapel. Über allem schwenkt eine Aura drohenden Desasters, an das Asche-Flocken, Glut und genauso erinnern wie die monochrome Farbskala. Verbranntes Grau und rußiges Schwarz etablieren die Gegenwart zum verkohlten Relikt der Vergangenheit und antizipieren zugleich zukünftige Katastrophen. Japanische Archäologen legen behutsam Knochen frei, während Feuerwehrleute wenige Meter entfernt den Zugang zu einem geplünderten Grab inspizieren.
Religiöse Rituale in der Madonna-dell’Arco-Kirche und Hafenbilder aus Torre Annunziata. Die Stimme eines von Büsten umringten Historikers diktiert dazu ein mechanisches Mantra: Alles hier ist gleichzeitig Vergangenheit und Vorahnung. Eine Szene von Jugendlichen, denen ein alter Akademiker Victor Hugo unterrichtete, unterstreicht die konservierte Kulturgeschichte als Werk alter weißer Männer, in deren Tradition sich Rosi sieht. Ohne die Begleitung einer klassischen Erzählung meißelt seine Inszenierung am Mythos einer Stadt, in der Antike buchstäblich das Fundament der Moderne ist und die Ahnung des Untergangs jeder alltäglichen Trivialität eine tragische Aura aufsetzt.
In den wuchtigen Panoramen ist die Erwähnung der Kriege in Syrien und der Ukraine ebenso leere Geste wie die paternalistische Verklärung einer Arbeiterklasse, deren Wahrnehmung wie so oft eine privilegierte Perspektive filtert. Betrachtungen, Stimmen und Blickwinkel schichten sich zu einem sozialen Sediment, das statt differenzierter Wahrnehmung nur formale Statik und hohle Andacht hervorbringt. Paternalistischer Pathos beschwört ein verstaubtes Vorbild klassizistischer Klarheit. Ehrfürchtig verweilt die Kamera auf architektonischen Details, Gesichtern oder auf der vulkanischen Landschaft, nicht um deren Geschichten zu ergründen, sondern oberflächliche Aufmerksamkeit als Marker von Bedeutung zu präsentieren.
Mit seiner pseudo-poetischen Apotheose Neapels Nimbus kehrt Gianfranco Rosi nach Italien zurück und wird für seine filmische Verewigung dessen ikonischer Topographie sogleich mit einem Platz im Wettbewerb von Venedig belohnt. Visuell zweifellos imposant, erstickt das hehre Exposé einer zum ewigen Sinnbild einer nationalen Geschichtsgröße stilisierten Stadt an der eigen Patina. Die formale Schwere kippt ins Selbstgefällige. Rosis Bilder sprechen nicht von Neapel, sie sprechen von seinem Selbstverständnis als epochaler Chronist des Erhabenen. Soziale Einsichten verdrängt stilistische Selbstvergewisserung, die in gravitätischer Choreografie erstarrt.
- OT: Sotto le nuvole
- Director: Gianfranco Rosi
- Year: 2025