In seinem letzten filmischen Frauenporträt Scarlet zeigte Pietro Marcello bereits sein dramaturgische Distanz zu weiblichen Figuren, die zentral oder marginal für seine gediegenen Geschichtsdramen stets als patriarchalische Projektion enden. Das gilt auch für die historische Hauptfigur seines fiktionalisierten Biopics, das in Venedig – wohl aus Bedarf an einer repräsentativen Anzahl italienischer Titel – im Wettbewerb läuft. Eleonora Duse (Valeria Bruni Tedeschi), die der Titel in vielversprechender Opposition zu filmischen Konvention bezüglich Frauen-Biopics bei ihrem Nachnamen anspricht, ist eine der menschlichen Mythen des Schauspiels.
Ihre intuitiven Darstellungen standen in markantem Gegensatz zur manierierten Theatertradition ihrer Zeit während ihre Zurückgezogenheit Spekulationen über ihr Privatleben anregte. Augenscheinlich auch Marcello. Sein Biopic betrachtet Duses Werdegang als vage Orientierung. Biografische Recherche überstieg offenbar Marcellos Interesse an der realen Person. Deren Leinwand-Version zeigt das opulente Epochen-Panorama in den späten Jahren ihrer in frühster Jugend begonnenen Karriere. Im Nachkriegs-Italien des Jahres 1921 kehrt Duse nach über zehnjähriger Pause für Auftritte in Europa und den USA zurück zur Bühne.
Dort sieht man sie indes kaum während der gut zwei Stunden lose arrangierter Vignetten. Die von Tedeschi mit ewiger Leidensmine und Märtyrerin-Posen verkörperte Titelfigur, die nie die repräsentative öffentliche Rolle ablegt, ist meist mehr Vorwand für Auftritte bekannter Zeitgenossen. Exemplarisch dafür ist eine frühe Szene, bei der ihr Publikum plötzlich zu einem Flugzeug am Himmel aufblicken: “Da ist D’Annunzio!” Als zweite italienische Ikone überstrahlt – oder besser: überschreit – Duses prominenter Theater- und temporärer Lebens-Partner ihre wehmütige Präsenz mit aufbrausendem Temperament.
Lautstarke Auseinandersetzungen, melodramatische Ausbrüche und emotionale Eskalationen scheinen überhaupt die bevorzugte Kommunikationsform in der exaltierten Theater-Welt. Tedeschis egozentrische Entrückung und ihrer Figur ohne jede biografische Grundlage angedichtete psychopathische Schübe konstruieren eine hysterische Karikatur der Künstlerin. Zudringlich fängt die Kamera Falten und Augenausdruck unerbittlich ein, ohne darin tieferen Ausdruck zu finden. Flüchtige Archivbilder, intime Familienbegegnungen und Duses umfangreiche Brief-Konversation reihen sich zu einer oberflächlichen Collage, die politische Realitäten hermetisch ausschließt. Ein pseudo-avantgardistischer Soundtrack unterstreicht die Diskrepanz zwischen antiquierter Gestik und gegenwärtigem Filmgefühl.
Die letzten Lebensjahre einer Legende des Theaters erstickt Pietro Marcello in konformistischem Kostümkino. Ohne Einsicht in das Wesen der Hauptfigur oder ihre Epoche, reduziert das prätentiöse Exposé eine starke Persönlichkeit zur patriarchalischen Parodie. Zwischen kindlicher Weinerlichkeit und falschem Pathos schwankend gleitet sie durch theatralische Episoden, die politische und zeithistorische Realitäten hermetisch ausschließen. Arriviertes Schauspiel, verworrene Struktur und eine zwischen melodramatischen Close-ups und ausdruckslosen Schaubildern schwankende Bildsprache bilden einen adretten Bilderbogen, der die Faszination Duses überdeckt statt offenbart.
- OT: Duse
- Director: Pietro Marcello
- Year: 2025