Eine Aura emotionaler Ernsthaftigkeit und bewusster Verzicht auf jede sensationalistische Ausbeutung des zugrunde liegenden realen Mordfalls machen Leonardo di Costanzos kriminologische Charakterstudie zu einem Werk, das man höher schätzen möchte als die didaktische Dramaturgie und paternalistische Inszenierung hergeben. Umso verklausulierter sich die von Tatsachen inspirierte Geschichte einer jungen Frau, die für die Entführung und den grausamen Mord an ihrer Schwester eine 20-jährige Haftstrafe verbüßt, verwickelt, umso unübersehbarer werden die analytische Unzugänglichkeit und akademistische Hybris der Inszenierung.
Der Schauplatz ist formell einmal mehr das Gefängnis, auch wenn die progressive Verwahrungsanstalt, in dem die Haupthandlung spielt, mehr nach Glamping-Ressort aussieht. Die Insassinnen leben zu zweit weitgehend selbstständig und selbstbestimmt in pittoresken Bungalows im Hütten-Stil, Wärterinnen sind respektvoll, und psychologischer Beistand immer vorhanden. Die Ferien-Atmosphäre perfektioniert ein Park mit handwerklichem Café, in dem die Langzeit-Insassin Elisa (Barbara Ronchi) arbeitet. Der idealistische institutionelle Rahmen ist indes weniger humanistischer Appell als subtile Metapher des proklamierten filmischen Ansatzes.
Die sich aufdrängende Frage, in wie weit Haft dort überhaupt Strafe ist, und wie es gerechtfertigt ist, Straffällige besser zu unterzubringen als Obdachlose, Psychiatrie-Insass*innen und Krankenhaus-Patienti*innen. Doch der Regisseur und Drehbuchautor verhandelt eine andere, ähnlich abstrakte Debatte. Der Außenraum ist nachrangig gegenüber der inneren Prozesse, die sich nicht auf Schuldfrage, Tathergang oder Motive konzentrieren, sondern psychologische Konditionierung. Was ist die unscheinbare Elisa für ein Mensch, dass sie ihre eigene Schwester auf sadistische Weise umbringen konnte?
Als schwammige Antwort auf diese Frage dienen vage Verweise auf psychopathologische Schäden und die Misogyne Trope der toxischen Übermutter. Inspiriert von einer Studie der Kriminologen Adolfo Ceretti und Lorenzo Natali, entfaltet sich die Handlung als Kammerspiel zwischen Inhaftierter und Forscher. Der zur empathischen Idealfigur stilisierte Professor Alaoui (Roschdy Zem) hält kriminalpsychologische Vorträge Schweizer Haftanstalt Elsas, die sich zu einer Insassinnen-Studie meldet. In dialoglastigen Begegnungen lösen sich Elisas mentale Blockaden und sie erfasst die Schwere ihrer Schuld.
Das ist ambitioniert konzipiert, aber enorm schleppend und intellektualistisch inszeniert. Nebenfiguren sind blassen Marker oder bürgerliche Klischees. Die zurückhaltende Gegenwartshandlung konterkarieren plakative Rückblenden zu dem suboptimalen Familiengefüge, das verantwortlich gemacht wird. Versuche, die Debatte um Schuld, Rehabilitation und Würde zu erweitern, zerfasern das mühsame narrative Geflecht. Ronchi trägt den das Szenario dennoch mit unbeirrter Sicherheit. Kameramann Luca Bigazzi setzt elegante Akzente mit warmen Holztönen und klaren Linien, bleibt aber im Schuss-Gegenschuss-Muster gefangen. Visuelle Statik Spiegel die analytische Rigidität.
Sorgfältig gestaltet und formal präzise, stellt sich Leonardo di Costanzo bewusst gegen die Sensationslust typischer True-Crime-Stoffe. Zurückgenommene Musik, sonnige Ausleuchtung und warme Holzfarben setzen auf leise Trauer und vorsichtige Hoffnung. Statt Spannung durch Handlung zu erzeugen, zeichnet es das enge, beinahe erstickende Innenleben seiner Protagonistin. Deren Charakterisierung bleibt trotz Ronchis komplexer Darstellung gefangen in einander überlagernden männlichen Perspektiven. Hinter dem ausgestellten humanistischen Ansatz zeigen sich ein unangenehmes kunsthandwerkliches Kalkül und fragwürdige akademistische Konzepte moralischer Überlegenheit.
- OT: Elisa
- Director: Leonardo Di Costanzo
- Year: 2025