“Shut your bone box”, ruft in Mona Fastvolds religiöse Revue ein entnervter Seemann zu der tanzwütige Titelheldin (Amanda Seyfried) und deren Anhängerschaft während ihrer Überfahrt nach Amerika. Genauso fühlt das Kinopublikum des aberwitzigen Singspiels. In der Neuen Welt, so glaubt die gottesfürchtige Glaubensleiterin, findet sie weitere Gefolgsleute und Freiheit zum Praktizieren ihrer gesanglichen Gebete und partyartigen Predigen. Doch auch in den Kolonien geht der stimmliche Stressfaktor schließlich zu weit und für Ann Lee beginnt erneut der fight for your right to party – with Jesus!
Was nach Monty Python klingt, basiert auf historischen Tatsachen. Geboren im Manchester des Jahres 1736 am 29. Februar – passend für eine mystifizierte Person, wie die unidentifizierte kindliche Erzählerinnen-Stimme anmerkt – erlangte Ann Lee in ihrer Zeit eine gewisse Bekanntheit als Gründerin und Oberhaupt der christlich-evangelikalen Bewegung der „Shakers“. Ist das nur ein zufällig amüsanter Name? Nope, shake it! ist quasi das Mantra der strenggläubigen Sekte, zu deren Gebeten ekstatische Laute, wilde Tänze, und Kanon-Gesänge gehören. Daraus wächst eine aberwitzige Komposition aus Mysterienspiel und Musical.
Das metaphysische Biopic voll verstiegener Glaubenssätze und sinnlicher Seligkeit erinnert an ein pseudo-feministisches Update von Jesus Christ Superstar: ohne Pop-Hits, dafür mit umso mehr Glaubenseifer. Von Kindheit an ist Ann fixiert auf Gott und sieht angeblich himmlische Visionen. Getrieben von religiösem Ehrgeiz, wird sie Mitglied der „Shaking Quakers“, die einen zweiten weiblichen Heiland erwarten. Ann sieht sich als diese göttliche Inkarnation und fordert das totale Shaken! Warum sie von dem Ritual so besessen war, bleibt unklar. Die Protagonistin ist nicht nur mystifiziert, sondern Mysterium.
War sie klerikale Karrieristin? Geistig verwirrt? Eine verzweifelte Taktikerin, die mittels des selbsterlassenen Zölibats ihrer Sekte Sex mit Ehemann Abraham (Christopher Abbott) vermeiden will? Die Off-Erzählung beschreibt Ann als von Kindheit auf sex-repulsed. Oder glaubte sie nach dem Tod ihrer Kinder tatsächlich, Gott wolle sie für Fleischeslust bestrafen? Warum heiratete sie Abraham? Was sollen die bizarren SM-Nummern? Hat sie romantische Gefühle für ihren Bruder (Lewis Pullman) oder ihre Nichte (Thomasin McKenzie)? Diese emotionale und mentale Undurchdringlichkeit verstärkt die Widersprüchlichkeit von Szenarien, Narration und Handlung.
Die sepia-getränkten Erd- und Rosttöne etablieren die Zeit in England als irdische Episode, geleitet von fiebriger Unruhe. Dagegen verspricht die Amerika-Episode in kühler Palette und ruhigeren Szenen einen weltlichen Himmel. Die fast ausschließlich von Ann vorgetragenen Songs könnten genauso gut einer sein. Kanon-Kirchenmusik beschwört eine sakrale Stimmung in eigenwilligem Kontrast zu den orgiastischen Ausdruckstanz-Einlagen. Deren fiebrigen Choreographien besitzen eine gewisse Dynamik, sind in ihrer Ausdauer indes schon beim Ansehen erschöpfend. Mantraartig simple Strophen machen den kitschigen Choräl-Gesang noch enervierender als die frömmlerische Message.
Konvulsive Choreografien und christlichen Kitsch verstrickt Mona Fastvold zu kakophonem Kostüm-Kino. Deren schnulzigen Sekten-Singsang machen repetitive Verse, fromme Lyriks und melodiöse Kaskaden zum sensorischen Härtetest. Die musikalische Monotonie Spiegeln frustrierend eindimensionale Akte, die biografisch, psychologisch und theosophisch gleichermaßen beschränkt bleibt. Amanda Seyfrieds dionysische Darbietung und ein durchgehend intensiver Cast werden zum energetischen Momentum einer puristischen Pop-Apotheose. Neben “Mother” markiert das missionarische Musical ein weiteres Hohelied auf Obskurantismus und wortwörtlich scheinheilige Selbstvergötterung. Ein in Sex, Tod und epiphanen Exzessen rotierendes Spektakel, bei dem es einen wahrhaftig schüttelt.
- OT: The Testament of Ann Lee
- Director: Mona Fastvold
- Year: 2025